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Stärkung der Identität als Muslime via Social Media

Die Internetaffinität islamistischer Gruppen ist ähnlich stark ausgeprägt wie die rechtsextremer Gruppen. Im Rahmen ihrer Propaganda geht es vor allem um die Stärkung einer kollektiven Identität. Durch den Aufbau von (antiwestlichen) Feindbildern und das Schüren von Vorurteilen gegenüber allem Nichtmuslimischen wird die Abgrenzung zur Fremdgruppe forciert und die Verbindung mit der eigenen Gruppe gestärkt.

Islamistische Manipulationsversuche sind online in vielfältigen Erscheinungsformen zu finden. In Grundzügen sind die verwendeten Mittel und Inszenierungsstrategien durchaus vergleichbar mit denen rechtsextremer Akteurinnen und Akteure. Im deutschsprachigen Raum werden Jugendliche und junge Erwachsene im Wesentlichen über Texte, Bilder und Videos auf populären Plattformen wie beispielsweise YouTube oder Instagram angesprochen. Vielfach findet die Kommunikation und Interaktion mit der Zielgruppe auch über (teil-)private Messengerdienste wie z.B. Telegram statt. Dies ermöglicht einerseits einen intensiveren, persönlichen Kontakt mit der Zielgruppe. Andererseits können die Kommunikation und Verbreitung von manipulativen Inhalten nicht wirkungsvoll von außen – durch Plattformbetreiber oder Sicherheitsbehörden – kontrolliert und reguliert werden.

Darüber hinaus existieren im Internet zahlreiche Propagandamagazine von jihadistischen Organisationen, die über verschiedene Social-Media-Kanäle angepriesen und verbreitet werden. „Dabiq“, das Propagandamagazin der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), ist sicher eines der prominentesten Beispiele.

Ein junger Mann mit dunklem Backenbart rappt in ein Mikrofon.

urbazon via Getty Images

Ratgeber für Alltagsfragen in popkulturellem Gewand

Vergleichbar mit den Strategien Rechtsextremer stellen auch islamistische Akteurinnen und Akteure gezielt Bezüge zur Lebenswelt der jungen Zielgruppe her. Sie greifen jugendkulturelle Phänomene auf und verbreiten ihre Propaganda in Form von Musikstücken (z.B. Hip-Hop-Songs), professionell gestalteten Videos mit Spezialeffekten oder Comicserien (im deutschsprachigen Raum z.B. „Supermuslim“). Ein beliebtes Gestaltungsmittel von Propagandamaterialien ist zudem die Orientierung an der Optik bekannter Computerspiele (z.B. Call of Duty, Battlefield).

Damit möglichst viele Personen aus der jungen Zielgruppe auf ihre Angebote stoßen, verknüpfen islamistische Gruppierungen ihre Inhalte mit unverdächtigen jugendaffinen und alltagsbezogenen Stichworten (z.B. Piercing, Extensions). In ratgeberähnlichen Formaten etwa auf YouTube beantworten Prediger oder andere prominente Figuren der islamistischen Szene Fragen des alltäglichen Lebens wie beispielsweise: Darf ich mir an Ramadan die Zähne mit Zahnpasta putzen? In ihren Antworten inszenieren Islamistinnen und Islamisten sich nicht nur als (alleinige) Instanz der Wahrheit. Sie stellen auch strenge Verhaltensregeln auf, denen sich Angehörige der Religionsgemeinschaft als „gute Muslime“ unterwerfen sollten.

Ein Smartphone auf einem Stativ filmt einen Mann im Hintergrund.

Zuraisham Salleh via Getty Images

Mobilisierung durch Emotionen und gemeinsame Freizeiterlebnisse

Zudem treten islamistische Extremistinnen und Extremisten an junge Altersgruppen heran, indem sie in sozialen Netzwerken identitätsstiftende Erlebnisangebote wie Fußballturniere oder Wohltätigkeitsveranstaltungen für Familien ehemaliger, inhaftierter IS-Kämpfer/-innen bewerben. Die Kämpfer/-innen selbst werden zu „lebenden Märtyrern“ stilisiert. Genau wie rechtsextreme Akteurinnen und Akteure verbinden Islamistinnen und Islamisten dadurch vermeintlich harmlose Freizeitangebote mit ideologischer Beeinflussung. Gleichzeitig soll durch gemeinsame Erlebnisse und Aktionen der Zusammenhalt innerhalb der extremistischen Gemeinschaft gestärkt werden.

Große Aufmerksamkeit und hohe Klickzahlen erzielen islamistische Gruppierungen im Netz außerdem durch Beiträge mit hohem Aktualitätsbezug, das Andocken an Inhalte von Prominenten (z.B. Rassismus-Debatte um Mesut Özil im Jahr 2018) und das Teilen emotionalisierender Inhalte (z.B. Kopftuchverbot). In jugendgerecht aufbereiteten Online-Beiträgen spricht beispielsweise die deutsche islamistische Initiative „Generation Islam“ das Ungerechtigkeitsempfinden junger Menschen an und adressiert gezielt muslimische Jugendliche mit Erfahrungen von Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung. Dadurch werden eindeutige Freund-Feind-Schemata – der deutsche Staat gegen die Muslime – und islamistische Opfernarrative genährt. Ein prominentes Beispiel dafür ist die von „Generation Islam“ initiierte Twitter-Kampagne #NichtOhneMeinKopftuch in den Jahren 2018 und 2019 anlässlich wiederaufkeimender Diskussionen um das Kopftuchverbot für muslimische Mädchen in Kindergärten und Schulen. Ziel dieses „Twitter-Storms“ – einer massenhaften, gesteuerten Verbreitung islamistischer Narrative – war es, auch im gesellschaftlichen Mainstream Aufmerksamkeit zu erzielen. Die Kampagne wirkte auf den ersten Blick wie die mediale Entrüstung liberaler, demokratischer Stimmen gegen die Diskriminierung kopftuchtragender muslimischer Mädchen und Frauen.

Antimuslimischer Rassismus als wichtiges Mobilisierungsthema

Antimuslimischer Rassismus ist ein zentrales Mobilisierungsthema: Aufgrund der angeblichen „moralischen Verdorbenheit“ des „Westens“ würden Musliminnen und Muslime in „westlichen Ländern“ Opfer von Diskriminierung, Ausgrenzung und Unterdrückung. Im Fokus der Narrative stehen die teilweise real erlebte alltägliche Diskriminierung und Unterdrückung von (gläubigen) Musliminnen und Muslimen durch staatliche Institutionen (z.B. Kopftuchverbot für muslimische Referendarinnen bei der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten oder Racial Profiling durch die Polizei). Doch auch die physische und psychische Gewalt gegenüber Frauen und Kindern in ausländischen Konflikten, beispielsweise in syrischen Kriegsgebieten, werden für Propagandazwecke instrumentalisiert. Darbietungen von Gewalttaten gegen Musliminnen und Muslimen sollen bei der Zielgruppe den Wunsch nach Vergeltung auslösen. Hierfür werden bewusst Angriffe von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten auf Flüchtlingsunterkünfte oder Kriegshandlungen von westlichen Mächten in Kriegsgebieten im Nahen Osten gezeigt, um ein allgemeines Bedrohungsszenario heraufzubeschwören und aufzuhetzen.

Diese Instrumentalisierung des antimuslimischen Rassismus kann insbesondere dann sinnstiftend wirken und Radikalisierungsprozesse auslösen oder beschleunigen, wenn rechte Agitation, Alltagsrassismus und Diskriminierungserfahrungen bereits den Weg dafür geebnet haben. Erfahrungen gesellschaftlicher Ausgrenzung können Betroffene unter gewissen Umständen für extremistische Inhalte empfänglich machen. (Ausführliche Informationen zum Begriff „antimuslimischer Rassismus“ finden sich hier. Details zu antimuslimischem Rassismus als islamistisches Mobilisierungsthema lassen sich hier nachlesen.)
 

Dieser Text enthält – mit freundlicher Genehmigung der Autor:innen – Fragmente aus folgendem Text: Schmitt, J. B., Ernst, J., Frischlich, L. &. Rieger, D. (2017). Rechtsextreme und islamistische Propaganda im Internet: Methoden, Auswirkungen und Präventionsmöglichkeiten. In Altenhof, R., Bunk, S., & Piepenschneider, M. (Hrsg.), Politischer Extremismus im Vergleich (S. 171-208). LIT Verlag Dr. W. Hopf.

Dr. Josephine B. Schmitt, Wissenschaftliche Koordinatorin, CAIS

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