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Wer sind die Täter bei Hatespeech?

Wer sind die Täter bei Hatespeech? Das Täterspektrum reicht vom „Wutbürger“ im Wohnzimmer bis zu strategisch handelnden Gruppen oder Social Bots. Studien zeigen, dass menschenverachtendes Gedankengut in allen Schichten und Altersgruppen vorkommt. Ökonomische oder soziale Probleme verführen dann zum Hass, wenn die Umstände als Gefahr für das eigene Leben wahrgenommen werden. Populistische Gruppierungen nutzen deshalb gerne Krisensituationen, wie die Flüchtlingskrise oder die Corona-Krise, um im Netz ganze Hass-Kampagnen loszutreten. Zum Teil geht der Hass auch von sogenannten Trollen oder ganzen Trollfabriken aus. Trollen kommt aus dem Englischen: „trolling with bait“ bezieht sich auf das Angeln mit einem Lockmittel, dem „Köder“. Hinter Troll-Armeen sollen sich riesige Organisationsstrukturen verbergen, die unter fingierten Identitäten Hass-Propaganda betreiben. Die Trollfabriken kann man mit etwas Aufwand entlarven, z.B. indem man sich die Profile genauer anschaut, die Anzahl der geposteten Beiträge ansieht oder den Namen googelt. Einzeln agierende Trolle sind schwer zu packen, denn deren Kommentare werden scherzhaft oder ironisch formuliert und sollen provozieren. Diese Trolle sind an Machtspielen interessiert und wurden schon in den 90ern von Judith Donath vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Usenet, ein früheres Netzwerk, dokumentiert und wissenschaftlich definiert und finden sich seither in immer neuen Zusammenhängen, so auch in Verbindung mit Hatespeech.

Person mit dunklem Kapuzenpullover vor schwarzem Hintergrund

GettyImages/grinvalds

Trolle…

  • stellen vermeintlich naive Fragen,
  • schweifen vom Thema ab,
  • reagieren mit überzogener Kritik,
  • nehmen bewusst eine Gegenposition ein,
  • fingieren eine Bedrohung,
  • schocken mit Worten, Bildern oder Videos,
  • provozieren ohne Grund, um Aggressionen zu schüren,
  • und begründen häufig mit LOL (englisch „laughing out loud“ = Lache laut auf) oder LULZ (englisch „I did it for the LULZ“ = Ich tat es, um mich zu amüsieren).

Doch die viel größere Gruppe der Hassrednerinnen und Hassredner sind die sogenannten Glaubenskrieger, die mit aller Macht ihre eigene Denkweise durchsetzen wollen und sich damit auf ihrem persönlichen Kreuzzug befinden. Ingrid Brodnig, Autorin von „Hass im Netz – Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können“, fasst einige Merkmale der Glaubenskrieger zusammen.

Glaubenskrieger…

  • befinden sich auf einer Art Kreuzzug für eine Sache,
  • erachten es nicht als notwendig, Andersdenkende mit Respekt zu behandeln,
  • möchten polarisieren und suchen die Konfrontation,
  • beanspruchen die Wahrheit für sich,
  • sehen es als ihre Pflicht an, ihre „Wahrheit“ weiter zu verbreiten,
  • fühlen sich als bedrohte Helden und kämpfen gegen den verblendeten Rest,
  • sind nicht zugänglich für Fakten und Argumente, die ihrer Meinung entgegenstehen, sehen diese sogar als Belege für eine Verschwörung,
  • stehen der Demokratie kritisch bis ablehnend gegenüber,
  • haben wenig Fähigkeit zur Empathie mit Betroffenen,
  • empfinden sich selbst als Opfer.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten – ein Vergleich

Auch harte Diskussionen müssen im Netz geführt werden können, doch Hassreden stören demokratische Auseinandersetzungen nachhaltig. Ingrid Brodnig schreibt in ihrem Buch über die massive Gefährdung fairer Diskussionsräume durch Trolle und „Glaubenskrieger“ und vergleicht die Täterprofile. Während Trolle und „Glaubenskrieger“ beiderseits Defizite in ihrer Empathiefähigkeit aufweisen, ist die Motivation dahinter sehr unterschiedlich. Platt ausgedrückt, haben Trolle Spaß, „Glaubenskrieger“ fühlen sich hingegen bedroht oder sind von Angst und einer bestimmten Ideologie getrieben. Beide sehen sich zwar als überlegen an, wollen die Macht über Andersdenkende erlangen und ausleben, aber ein Troll will manipulieren und seinen Intellekt darstellen, der „Glaubenskrieger“ will aufklären und als heldenhafter Retter dastehen. Beim „Glaubenskrieger“ sind die Methoden breiter aufgestellt, Vorwürfe wie „Lügenpresse“ oder eine typische wir-/die-Rhetorik werden systematisch eingesetzt. Trolle ziehen sich zurück, wenn ihre Provokation nicht fruchtet, „Glaubenskrieger“ machen weiter, fühlen sich ausdauernd im Recht und fürchten kaum Konsequenzen. Der Spruch „Don’t feed the Troll“ (Englisch: „Füttere nicht den Troll“) ist eine Verteidigungsmöglichkeit gegen Trolle: Diskutierende gehen dann einfach nicht weiter auf die Provokationen von Trollen ein und der Troll zieht sich idealerweise zurück. Bei den „Glaubenskriegern“ ist die Verteidigung schwerer, denn sie ziehen sich nicht zurück, wenn ihre Attacken ignoriert werden. Sie demonstrieren weiter Stärke und holen mit einem „Shitstorm“ andere Gleichdenkende dazu. Applaudierende Unterstützer kommen zu den Haupttätern noch dazu. Doch an deren Gewissen kann im Unterschied zu den „Glaubenskriegern“ noch appelliert werden, indem das Fehlverhalten benannt und angeprangert wird und klare Alternativen aufgezeigt werden.

Motive, Mechanismen und Konsequenzen

Wesentliche Gründe für die Verbreitung von Hatespeech liegen sicherlich in der Persönlichkeit der Hater, doch sorgen im Internet auch systembedingte Ursachen für mehr verbale Gewalt. Die Anonymität im Netz ist eine dieser Ursachen. Häufig werden Attacken nicht unter dem Klarnamen durchgeführt, sondern mit Hilfe eines Fake Accounts oder einer verschleierten IP-Adresse. Je nach Aufwand bei der Verschleierung brauchen Täter wenig Strafe zu befürchten. Dieser Umstand sorgt dafür, dass bei einigen jegliche Hemmungen fallen. Auch ist die Kommunikation in Schriftform, ohne unterstützende Gestik und Mimik, ein weiterer Faktor, der zu Missverständnissen führen kann. Die Schnelligkeit des Internets ist ein zusätzliches Problem: Der „Senden“-Button wird gedrückt, bevor der eigene Beitrag nochmals durchgelesen wird. Aus der Spontanität heraus generieren sich zunehmend verhärtete Fronten. Die Algorithmen der Betreiber sind ein technischer Faktor, der Hatespeech fördert. Erhalten Nutzer/-innen vermehrt gleiche und ähnliche Beiträge angezeigt, dann handelt es sich um technisch erwirkte „Filterblasen“, die durch entsprechende Programme bzw. Algorithmen entstehen. Der sogenannte „Echoeffekt“ umschreibt die ständig wiederholten Retweets oder von Nutzern kopierten Beiträge, die den Anschein wecken, dass die breite Masse gleich denkt. Diese und andere systembedingte Faktoren begünstigen den beschriebenen „Enthemmungseffekt“ wiederum. Die Vermutung liegt nah, dass die technisch bedingte emotionale Distanz, die Möglichkeiten anonymer Kommentarfunktionen und andere technische Verschleierungsmöglichkeiten im Internet maßgeblich verantwortlich dafür sind, dass Menschen enthemmt handeln. Das Modell der Filterblasen und Echokammern halten manche Forschenden für überbewertet. So würden Nutzerinnen und Nutzer immer verschiedene Quellen nutzen und kämen auch an neue, unbekannte Themen und Meinungen, wenn sie es hören wollen.

Persönliche Motivation

Die Beschäftigung mit den Ursachen für Hass ist Wissensbasis für die Entwicklung von Gegenstrategien. Eine solche eher psychologische Betrachtungsweise sollte aber keinesfalls zu Generalamnestien führen. Zur Betrachtung der persönlichen Motivation von Tätern gehört die Untersuchung verschiedener Tätermuster. Wo der Troll den Spaß an der Provokation vorschiebt, steht bei „Glaubenskriegern“ die Verbreitung einer Ideologie im Vordergrund. Ziel letztgenannter Gruppe ist die Übernahme von Meinungsführerschaft in der Gesellschaft und deren Propaganda dient der Durchsetzung der eigenen Ideologie. In dem Fall gewinnen Täterinnen und Täter Selbstbestätigung und bekräftigen die persönliche Glaubensrichtung oder politische Einstellung. Die Position an der Spitze der Gesellschaft soll durch Verwendung verbaler, psychischer, manchmal auch physischer Gewalt erreicht werden, die Verdrängung anderer Gruppen an den Rand wird dabei in Kauf genommen. Einige „Glaubenskrieger“ werden mit Hasspredigern gleichgesetzt. Dann werden über die Internetgefolgschaft Anhängerinnen und Anhänger für eine ideologische Einstellung oder gar Personen gesucht, die einen Anschlag begehen sollen. Neben anderen Ursachen wie Rache oder der gefühlten Zurücksetzung spielen bei einigen Tätern ureigene Ängste eine Rolle. Wahnhafte Vorstellungen, ein verschwörungstheoretisches und verklärtes Weltbild, die Abgrenzung gegen andere Weltbilder oder Religionen, Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Homo- oder Transphobien münden dann in einer permanenten Abwertung Andersdenkender und damit soll die Aufwertung der eigenen Person erreicht werden. Manchmal ist für die persönliche Haltung ein psychotisches Krankheitsbild die Ursache, dann sind die Wahrnehmung und das Denken gestört und der Hass wendet sich gegen die angstauslösende Gruppe. Die Gefühlswelt ist bei Psychosen so durcheinander, dass Reaktionen völlig unberechenbar sind und überproportional zum auslösenden Faktor stehen. Die Einschätzung von Bedrohung ist dabei fehlerbehaftet, sodass Gefahren überschätzt werden und ein Verfolgungswahn auch ohne konkrete Gefahr auftaucht. Menschen, die Verschwörungstheorien anhängen, könnten dieser Gruppe angehören. Dagegen lässt es sich schwer argumentieren, da jede Gegenaussage als „Beweis“ dafür interpretiert wird, dass eine Verschwörung vorliegt. Liegen massive Störungen vor, helfen rationale Argumentationslinien wenig, denn Betroffene sind dafür nicht empfänglich. Trolle hingegen motiviert die Einflussnahme auf eine Diskussion und sie sehnen sich nach Aufmerksamkeit, auch negativer. Ihr Ego leidet darunter, wenn die anderen Nutzer/-innen sie ignorieren, sie sind also nicht von Angst oder einem Wahn getrieben, sondern eher durch ein Streben nach Aufmerksamkeit. Kinder können Ängste und Wahnvorstellungen von ihren Eltern übernehmen. In der pädagogischen Arbeit mit Heranwachsenden ist das ein beachtenswerter Aspekt. Biologische Komponenten können Phobien fördern und einige Menschen sind empfänglicher für Psychosen als andere.

Folgen für Täter

Täter provozieren durch ihr Handeln gravierende Folgen bei den Betroffenen, aber auch für sich selbst. Glücklicherweise kommt es vermehrt zu Gerichtsurteilen. Die Bandbreite der Folgen geht von Unterlassungserklärungen, bis hin zu existenzbedrohlichen Konsequenzen, so die Broschüre „Hate Speech – Hass im Netz“.
Folgen können sein…

  • eine private Unterlassungsaufforderung,
  • eine außergerichtliche Abmahnung,
  • eine zivilrechtliche Unterlassungsklage und/oder Verurteilung zu Schadensersatz,
  • Übernahme der Gerichtskosten und Erstattung der gegnerischen Anwaltskosten,
  • Strafanzeige, strafrechtliche Verurteilung (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe),
  • bei Erwachsenen: Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder
  • bei Schülerinnen oder Schüler: Schulverweis oder Suspendierung.

Quellen

[1] Brodnig, Ingrid :

Hass im Netz – Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Wien 2016. zurück nach oben

[3] Brodnig, Ingrid:

Hass im Netz – Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Wien 2016. zurück nach oben

Anja Franz

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