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News Fatigue – Wenn uns Nachrichten überfordern

Ulrike Boscher
Kriegsfotograf in zerstörtem Viertel.

Kriegsfotograf in zerstörtem Viertel. | South agency via GettyImages E-Plus

News Fatigue – Erschöpft von Krisenmeldungen

Ich kann es nicht mehr hören! Insbesondere junge Menschen fühlen sich erschöpft von zu vielen negativen Nachrichten, die täglich auf uns einprasseln. Viele meiden deswegen aktuelle Meldungen oder schotten sich vom Weltgeschehen ab. Was steckt hinter dieser Nachrichtenmüdigkeit und was können wir dagegen tun?

Kriege, Krisen, Katastrophen – Die Welt im Dauerkrisen-Modus

Krieg im Nahen Osten und der Ukraine, Terror, Naturkatastrophen und menschliche Tragödien. Die Liste negativer Schlagzeilen reißt nicht ab. Doch die Krisenmeldungen im Ticker-Takt haben Folgen: Immer mehr Menschen fühlen sich erschlagen, erschöpft und deprimiert. Weil ihnen traurige Bilder und Negativschlagzeilen auf das Gemüt schlagen, meiden sie zunehmend aktuelle Berichterstattungen. Sie schauen keine tagesschau, lesen weniger Meldungen, hören keine Radiobeiträge. Diese Nachrichtenmüdigkeit (auch als News Fatigue oder News Avoidance bezeichnet), zieht sich durch alle Altersgruppen. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist diese jedoch am stärksten zu spüren.

News Fatigue – Nachrichtenmüdigkeit breitet sich aus

Laut dem Reuters Institute Digital News Report 2023 geht das Nachrichteninteresse in Deutschland seit 2017 deutlich zurück, die Tendenz zur Nachrichtenvermeidung bleibt hoch. Während sich Menschen mittleren Alters (über 55 Jahre) meist sehr für Politik interessieren, geben 41 Prozent der 18-bis 24-Jährigen an, dass sie sich nicht sehr oder überhaupt nicht für Politik interessieren (vgl. Report, S. 5). „Wie bereits im Vorjahr versucht 2023 jeder zehnte Internetnutzende im Alter ab 18 Jahren oftmals aktiv, die Nachrichten zu vermeiden; 65 Prozent versuchen dies mindestens gelegentlich. 29 Prozent der Befragten, die zumindest gelegentlich Nachrichten vermeiden, gehen gezielt bestimmten Themen aus dem Weg.“ (Leibnitz-Institut: Nachrichtenmüdigkeit nimmt weiter zu). Der Reuters Institute Digital News Report beruht auf über 90.000 Befragungen in 48 Ländern. Das Leibnitz-Institut für Medienforschung führte die Auswertung für Deutschland durch.

Traurige und erschöpfte junge Frau mit Handy in der Hand, den Blick gesenkt.

News Fatigue: Erschöpft von zu vielen Krisenmeldungen. | Mixmike/iStock via GettyImages Plus

Ursachen von News Fatigue

„Immer die gleiche Leier!“ oder „Ich komme schlecht drauf!“. Bei News Fatigue reichen die Gefühle von genervt, gestresst bis deprimiert.

Angesichts einer hohen Krisendichte schleicht sich bei manchen Menschen ein Gefühl der Hilflosigkeit ein, weil sich dem subjektiven Empfinden nach nichts ändert und keine Lösung in Sicht ist. Diese Endzeitgefühle verstärken sich durch schwer erträgliche Bilder (z.B. Terrorangriff der Hamas), Hass und Hetze im Netz. Menschen wenden sich dann aus Selbstschutz vom Weltgeschehen ab, fahren aktuelle Meldungen herunter oder schotten sich im Extremfall ganz ab.

Für News Fatigue kann es verschiedene Gründe geben. Dazu zählen

  • die ständige Konfrontation mit negativen oder belastenden Nachrichten;
  • die allgemeine Überlastung der ständigen Informationsflut;
  • die Unfähigkeit, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden;
  • fehlender Bezug der Nachrichten für das eigene Leben.

 

Warnsignale ernst nehmen und News Burn Out vorbeugen

Warnsignale zu digitaler Überlastung sollten wir ernst nehmen, meint Heesoo Jang, die als Doktorandin an der UNC Hussmann School of Journalism and Media zu News Fatigue forscht. Der Körper gibt uns zu verstehen, dass es Zeit ist, eine geistige Pause einzulegen. Unser Gehirn braucht manchmal Erholungsphasen, bevor es neue Informationen aufnehmen und verarbeiten kann. Sie hält temporäre Auszeiten von sozialen Medien und „Offline-Räume“ durchaus für sinnvoll, um wieder eine neue Sicht der Dinge zu gewinnen. Meist erkennt man dann, dass die Welt auch viel Positives zu bieten hat. Ihr Rat: „Gönnen Sie sich jeden Tag 30 Minuten oder eine Stunde, um draußen spazieren zu gehen oder etwas zu tun, was Ihnen wirklich Spaß macht und nichts mit der Beschaffung neuer Informationen aus dem Internet zu tun hat“ (vgl. News fatigue: what it is and how to avoid it).

Nachrichtenvermeidung: Das Problem mit der Null-Diät

Zum Problem wird es, wenn Nachrichtenmüdigkeit zu Nachrichtenvermeidung führt. Man hat die Nachrichten so satt, dass man sie ganz meidet. Eine Null-Diät kann jedoch nicht die Lösung sein, denn Informationen sind wichtig für politisches Handeln und gesellschaftliches Engagement. Viel wichtiger ist deswegen die Frage: Wie komme ich resilient durch schwierige Zeiten? Der Journalist und Medienwissenschaftler Leif Kramp versteht unter digitaler Resilienz eine konstruktive Widerstandskraft im souveränen Umgang mit Medien. Wir sollten mehr in uns hineinhören, gezielter auswählen und uns nicht von allen News überwältigen lassen, so Kramp. Wir müssen lernen, die richtige Dosis zu finden. Das heißt: Wie informiere ich mich richtig, ohne mich emotional zu überfordern? (vgl. Leif Kramp im Interview mit Deutschlandfunk Kultur vom 2.8.2023, Auswege aus dem digitalen Burnout). Doch wie lässt sich digitale Resilienz aufbauen?

Baum biegt sich im Sturm um fast 90 Grad. Davor steht eine grüne Wiese mit weißen Blumen.

Resilient durch stürmische Zeiten. | Khaled Ladjimi/iStock via GettyImages Plus

Tipps zur digitalen Resilienz

Vielen Menschen fehlt digitale Resilienz, das heißt, die wenigsten wissen, wie man ohne Handy abschalten kann, meint der Medienwissenschaftler Dr. Stephan Weichert. Doch die gute Nachricht: „Digitale Resilienz kann jeder lernen und sich antrainieren“ (MediSinn: Digitale Resilienz aufbauen). In der Studie „Digitale Resilienz in der Mediennutzung“ gibt er Handlungsempfehlungen und Resilienz-Tipps zum individuellen Stressabbau. Hier sind die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

  • Bildschirmkontrolle: Lassen Sie sich über die Einstellung Ihres Smartphones Ihre digitale Bildschirmzeit anzeigen. Wieviel Zeit verwenden Sie für welche Anwendungen? Verlieren Sie häufig die Zeit aus den Augen, wenn Sie sich durch Videofeeds und Chats klicken? In welchem Verhältnis steht die Bildschirmzeit zu anderen Zeiten mit Familie, Sport und Freizeitaktivitäten?
  • Digitalen Ballast entsorgen: Trennen Sie sich von Zeitfressern, die Sie nicht brauchen. Das sind zum Beispiel Apps, die Ihnen im beruflichen und privaten Alltag keinen echten Mehrwert bieten. Wer sich von (einigen) Social-Media-Anwendungen trennen kann, wird überraschend feststellen: „Mir fehlt nichts“.
  • Benachrichtigungs-Optimierung: Schützen Sie sich vor Ablenkung und ständigen Unterbrechungen. Bleiben Sie selbstbestimmt. Sie müssen nicht immer sofort auf eine Frage antworten. Stellen die das Smartphone auf lautlos, schalten Sie Ping-Töne (bei Erhalt von Nachrichten) aus, deaktivieren Sie Push-Nachrichten und die Vibration des Smartphones.
  • Funkstille statt Dauer-Erreichbarkeit: Sie müssen nicht rund um die Uhr erreichbar sein – im Gegenteil! Niemand muss beim Joggen, Einkaufen, im Restaurant oder beim Gespräch mit Freunden ständig Messenger-Nachrichten lesen. Konzentrieren Sie sich lieber auf das Jetzt und die Menschen, denen Sie im realen Leben begegnen. Zum Selbstschutz schalten Sie einfach temporär die mobilen Daten aus.
  • Social-Media-Diät: Es muss nicht gleich eine Null-Diät sein, aber Intervall-Fasten sorgt für einen besser verdaulichen Medienkonsum. Versuchen Sie nur ein-bis-zweimal am Tag digitale News-Medien zu nutzen, um sich auf den aktuellen Stand zu bringen. Ideal wäre die Reduktion auf einen Social-Media-Kanal.
  • Ruhepausen: Definieren Sie feste Auszeiten ohne PC und Smartphone (z.B. nach Feierabend oder an in bestimmten Zeitfenstern am Wochenende). Legen Sie die Geräte möglichst aus dem Blickfeld und an einen Ort, der als Tabuzone gilt.
  • Digital Detox: Machen Sie was Ihnen guttut und Freude bereitet. Hierfür nehmen Sie sich bewusst eine Auszeit von Bildschirmen, sozialen Medien und anderen digitalen Anwendungen, um Stress zu reduzieren und sich auf persönliche Beziehungen und reale Aktivitäten zu konzentrieren. Dieser Entzug kann die allgemeine geistige Gesundheit verbessern, kognitive Überlastung verringern und eine gesunde Balance im Umgang mit digitalen Medien herstellen. Verzichten Sie bewusst und zeitweilig auf die Nutzung digitaler Geräte und Technologien.

 

10 Resilienz-Tipps zum individuellen Stressabbau (VOCER. Institut für digitale Resilienz)

10 Handlungsempfehlungen: Digitale Resilienz als soziale Metakompetenz (VOCER. Institut für digitale Resilienz).

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Ulrike Boscher

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