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Gaming in der Pandemie- Suchtgefahr oder Hilfe für Kinder und Jugendliche?

Marlene Feller
Ein Junge mit einem Headset sitzt vor zwei Bildschirmen und spielt ein Multiplayer Online Game

Während der Kontaktsperren sollen Kinder und Jugendliche etwa 75 Prozent mehr Zeit mit Gaming verbracht haben | Milan Jovic via GettyImages

Studie der DAK: Erhöhte Suchtgefahr von Gaming in der Pandemie

Die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen ist seit der Pandemie stark gestiegen. Im Vergleich zu 2019 gab es einen Anstieg von 52 Prozent der Kindern und Jugendlichen, die von Computerspielen abhängig sind. So die Ergebnisse einer Studie der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Während der Corona-Kontaktsperren sollen Kinder und Jugendliche teilweise 75 Prozent mehr Zeit mit Games verbracht haben. Ist die Pandemie verantwortlich für den hohen Anstieg an spielsüchtigen Kindern und Jugendlichen? Wie entsteht Computerspielsucht überhaupt und haben Games auch positive Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche in Zeiten der Pandemie?

Wir haben mit Dejan Simonović, dem Gaming Experten und Leiter der ComputerSpielSchule Stuttgart gesprochen. Er klärt über die Ergebnisse der Studie auf und berichtet, wie Gaming Kindern und Jugendliche in der Pandemie sogar helfen kann.

Für Spielsucht sind mehrere Faktoren verantwortlich

Hallo Dejan! Wie bewertest du die Ergebnisse der Studie? Sind Kinder und Jugendliche seit der Pandemie wirklich anfälliger für Spielsucht? 

Es ist naheliegend, dass Kinder und Jugendliche in der Pandemie häufiger und länger Games und insgesamt Medien genutzt haben. Ein einfacher Grund dafür ist der Mangel an Alternativen vor allem während des Lockdowns. Trotzdem heißt das nicht, dass seit der Pandemie plötzlich alle Kinder spielsüchtig sind. Der Anteil an Kindern und Jugendlichen, die pathologisch spielsüchtig sind ist weiterhin gering. Wenn man oberflächliche Berichte über die Studie liest oder hört, könnte es den Eindruck erwecken, dass eine hohe Spielzeit direkt zur Spielsucht führt. Natürlich wird durch eine extrem hohe Nutzungszeit auch das Risiko für ein problematisches Spielverhalten höher. Also wer spielsüchtig ist, verbringt logischerweise viel Zeit beim Spielen, allerdings heißt das eben nicht umgekehrt, dass alle, die viel spielen direkt auch ein Suchtproblem haben. Eine Spielsucht hängt also nicht unmittelbar von der Nutzungsdauer ab, es spielen dabei noch viele weitere Faktoren eine Rolle. 

Welche Faktoren sind das? 

Die entscheidende Frage ist, ob der oder die Betroffene noch Kontrolle über das Nutzungsverhalten hat und inwiefern das Spielen das “echte” Leben beeinflusst. Wenn sich ein Kind in der Schule stark verschlechtert hat, unaufmerksam ist, wenige soziale Kontakte außerhalb der Gamingwelt hat, keine Stabilität und viele Probleme in der Familie hat, kann das auf eine Spielsucht hindeuten. Der Richtwert, um zu erkennen, ob jemand wirklich ein problematisches Nutzungsverhalten hat, ist nicht zu schauen, wieviel gespielt wird, sondern wie das Leben darum herum aussieht. 

Im Vordergrund steht Dejan Simonovic, der Leiter der ComputerSpielSchule Stuttgart. Im Hintergrund sieht man die Räumlichkeiten des Stadtmedienzentrums Stuttgart.

Dejan Simonović berät Eltern und Familien rund um das Thema digitale Spiele. | LMZ Baden-Württemberg

Alternativen anbieten statt Verbote erteilen

Was rätst du Eltern, die merken, dass ihr Kind spielsüchtig sein könnte? 

Sich zuerst einmal die Frage stellen, wie es dem Kind im Allgemeinen geht. Hat es ein geregeltes und stabiles Leben und genügend Möglichkeiten, die Bedürfnisse nach Unterhaltung, Ablenkung und sozialen Kontakten zu erfüllen? Das Spielen ganz zu verbieten, würde nicht viel bringen, da sich Kinder, je älter sie werden, sowieso darüber hinwegsetzen werden. Anstelle von Verboten Alternativen anbieten. Den Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten geben, wie sie ihre Freizeit noch gestalten können. Natürlich können sich Eltern auch direkt bei uns melden. Wir stehen jederzeit für Fragen und zur Beratung rund um das Thema digitale Spiele und damit auch problematische Nutzung dieser zur Verfügung.

Individuelles Beratungsangebot der ComputerSpielSchule für Eltern

"Games und digitale Welten haben vielen Kindern und Jugendlichen einen Zufluchtsort in der Pandemie geboten."

Die DAK Studie hat eine sehr kritische Sicht auf Gaming und dessen Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Gibt es denn auch positive Effekte und Auswirkungen gerade im Kontext der Pandemie? 

Auf jeden Fall. Gerade während des Lockdowns waren die Schulen zu, die Kids zuhause und es gab wenige Möglichkeiten für sie, sich mit Freunden zu treffen und sich auszutauschen. Das Bedürfnis nach Unterhaltung, Ablenkung und sozialen Kontakten war ja aber trotzdem da. Vor allem Multiplayer Games baten und bieten in Zeiten der Pandemie für viele eine gute Alternative. Dabei geht es oft nicht nur um das Spielen an sich, sondern auch um den Austausch mit Freunden.

Können Multiplayer Games denn die sozialen Kontakte außerhalb der Onlinewelt ganz ersetzen? 

Nein. Persönlicher sozialer Kontakt ist immens wichtig. Trotzdem helfen Games, gerade in schwierigen Zeiten, wie beispielsweise während des Lockdowns, auch mal abzuschalten und trotzdem noch soziale Kontakte aufrecht zu erhalten. Games und digitale Welten haben vielen Kindern und Jugendlichen einen Zufluchtsort in der Pandemie geboten, im positiven Sinne. Außerdem müssen Games soziale Kontakte im “realen” Leben nicht unbedingt ersetzen. Während des Lockdowns wurde auch sehr viel mehr zusammen mit der Familie oder eben im kleinen Kreis mit Freunden gespielt. Deswegen ist zusammen spielen natürlich auch immer eine Option.  

 

Auf dem Bild steht in großer Schrift "Minetest Storytime". Im Hintergrund sieht man die Landschaft im Spiel Minetest.

Das Minetest Storytime Angebot der ComputerSpielSchule Stuttgart | ComputerSpielSchule Stuttgart

Alternativangebote und Hybridlösungen durch die Pandemie

Die ComputerSpielSchule ist ein Ort des gemeinsamen Spielens, bei dem Jung und Alt zusammenkommen. Wie seid ihr während des Lockdowns damit umgegangen, dass das Angebot nicht mehr vor Ort stattfinden konnte?

Natürlich war es anfangs schwierig, vor allem für die Kinder aus der Gegend, die freitags nach der Schule immer zum Zocken vorbeigekommen sind und wie du sagst diesen Ort des gemeinsamen Spielens und Austauschens nicht mehr hatten. Aber wir haben da eine wirklich sehr engagierte Truppe, die ein Online Alternativangebot auf die Beine gestellt hat, bei dem sich die Kids von zuhause aus dazuschalten konnten. An dieser Stelle nochmal danke an die Mobile Medienschule Ost und das ganze Team für die Unterstützung in dieser nicht gerade einfachen Zeit. Jetzt dürfen wir aber zum Glück am 11. März wieder öffnen und das Game Make and Learn in der ComputerSpielSchule anbieten. Mit der Minetest Story Time haben wir eine Hybridlösung, bei der die Kids sowohl vor Ort als auch von daheim aus mitspielen können. 

Dejan, wir freuen uns, dass die ComputerSpielSchule wieder öffnen kann und sind gespannt auf eure Projekte und Angebote. Danke für deine Zeit und das Gespräch! 

Marlene Feller

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