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Das Unterrichtskonzept "Flipped Classroom"

Ulrike Boscher
Schreibendes Mädchen am Laptop

Flipped Classroom: Zuhause Lernvideos schauen, Notizen machen und vorbereiten. In der Schule wird dann der Lernstoff geübt. | GettyImages/ damircudic

Was ist Flipped Classroom?

Der klassische Unterricht läuft meist so ab: Lehrerinnen und Lehrer führen in ein neues Thema ein, erklären den Lernstoff und geben dann Hausaufgaben auf. Zuhause wird das Gelernte geübt und gefestigt. Bei der Unterrichtsmethode Flipped Classroom ist es genau umgekehrt. Die Schüler/-innen starten zuhause mit kurzen Videos und einem Lernskript und arbeiten sich selbständig in neue Themen ein. Dann bereiten sie sich auf die nächste Unterrichtsstunde vor. In der Schule wird anschließend geübt; entweder allein oder in Gruppen. Wenn Inhalte zuhause nicht verstanden wurden, können Schüler/-innen nun nachfragen und mit Hilfe der Lehrkraft „individuelle Lücken“ schließen. Das etablierte Muster „Erklären-Üben“ bleibt bestehen, allerdings wird die bisherige Unterrichtsroutine umgedreht bzw. geflippt:

  • Das was früher Hausaufgaben waren, wird in der Schule gemacht.
  • Das was früher die Lehrkraft in der Schule vorgetragen hat, eignen sich die Schüler/-innen (über Lernvideos) zuhause an.

Die Idee, das „Klassenzimmer umzudrehen“, stammt aus den USA und gewinnt im Zuge des digitalen Wandels auch bei uns zunehmend an Bedeutung. Bisher wurde die Methode unterschiedlich beurteilt. Die Bandbreite reicht von Befürwortern, die am liebsten nur noch „umgedreht“ unterrichten würden, bis hin zu Skeptikern, die in der Methode Flipped Classroom keinen Mehrwert zum klassischen Unterricht erkennen können.

Welche Vor- und Nachteile diese Methode hat und welche Schritte zur Umsetzung notwendig sind, erfahren Sie in diesem Artikel.

Vorteile für Schülerinnen und Schüler

  • Zeitliche und räumliche Flexibilität: Die Schüler/-innen können selbst entscheiden, wann und wo sie sich das Lernvideo anschauen – ob im Bus, zuhause oder bei einem Freund.
  • Im eigenen Tempo lernen: Bei Verständnisschwierigkeiten besteht immer die Möglichkeit, das Lernvideo anzuhalten oder erneut abzuspielen. Währenddessen können sich die Schüler/-innen Notizen machen und Zwischenergebnisse festhalten.
  • Mehr Selbstverantwortung für das Lernen: Die Schüler/-innen sind nicht mehr nur passive Zuhörer. Anstelle des Frontalunterrichts in der Schule, eignen sie sich neues Fachwissen selbständig zuhause an. Nur wer sich inhaltlich vorbereitet hat, kann im Unterricht die Aufgaben lösen. Damit übernehmen die Schüler/-innen mehr Selbstverantwortung für ihr Lernen.
  • Stoff nachholen: Wer krank war, kann sich das Video zu einem späteren Zeitpunkt anschauen und den Lernstoff nacharbeiten.
  • Zukunftsfähig und modern: Durch die Kombination aus digitalem Lernen und klassischen Lernaufgaben gehört Flipped Classroom sicherlich zu einer modernen, zukunftsfähigen Lernmethode.

Vorteile für Lehrerinnen und Lehrer

  • Vom Wissensvermittler zum Coach und Begleiter: Durch den Wegfall von Vorträgen in der Schule, bleibt mehr Zeit für Feedback, Einzelgespräche und schülerzentriertes Arbeiten. Dabei können auch heterogene Gruppen und leistungsschwächere Schüler/-innen besser unterstützt werden.
  • Mehr Öffnung, Kooperation und Abwechslung im Unterricht: Lehrkräfte haben mehr Zeit für unterschiedliche Methoden, aktive Übungsphasen, Gruppenarbeit und Diskussionen.
  • Engeres Schüler-Lehrer-Verhältnis: Der Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden wird intensiver. Idealerweise erkennen die Lehrkräfte dann schneller, wer noch Probleme oder Wissenslücken hat.
Kleiner Junge vor Laptop im Home Schooling

Nicht für alle Kinder gleichermaßen geeignet, aber in Zeiten von Corona ein häufiges Muss: Mit Lernvideos zuhause eigenständig lernen. Für viele Lehrkräfte bietet Flipped Classroom eine gute Ergänzung, aber keine Lernmethode für ein durchgängiges Unterrichtskonzept. | GettyImages/ Imgorthand E+

Nachteile und kritische Stimmen

Neben den Befürwortern des Flipped Classroom-Konzepts, gibt es auch kritische Stimmen. Informationen würden nur ausgelagert, die ohnehin gelernt werden müssten. Die Methode sei ein digitaler Hype, würde überschätzt und bringe auch Nachteile mit sich:

  • Die IT-Ausstattung muss vorhanden sein: Flipped Classroom kann nur funktionieren, wenn jedes Kind bzw. alle Schüler/-innen zuhause mit einem internetfähigen Gerät (PC, Tablet oder Handy) arbeiten können. Dass das in der Praxis leider nicht so ist, zeigt die aktuelle Corona-Krise.
  • Größerer Arbeits- und Zeitaufwand für Lehrkräfte: Einerseits entfallen längere Vortragsphasen im Präsenzunterricht, andererseits müssen die Lehrkräfte ihren Schülern fachbezogene Videos, Screencasts oder digitale Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellen. Wer eigene Videos erstellen möchte, muss (insbesondere als Anfänger) viel Aufwand und Zeit investieren.
  • Gefahr der Berieselung im Fernunterricht: Wer mit digitalen Medien arbeitet, läuft immer auch Gefahr, abgelenkt zu werden. In der Tat, Schüler/-innen verlieren sich gerne in den Social-Media-Kanälen und in den Weiten des Internets. Kritiker behaupten, viele Schüler würden die Lernvideos zu unregelmäßig oder nur nebenbei anschauen. Um einer Berieselung vorzubeugen, sollten sich Schüler/-innen immer Notizen machen und wichtige Ergebnisse festhalten.
  • Nicht für alle Schüler/-innen geeignet: Flipped Classroom ist kein Selbstläufer und funktioniert nur, wenn sich die Schüler/-innen auch den Lernstoff zuhause aneignen. Dabei sind manche überfordert. Studien zeigen: Je älter die Schüler/-innen und je mehr Erfahrung sie mit dieser Lernmethode haben, desto erfolgreicher ist die Methode.
Mädchen an der Tafel

Flipped Classroom: In der Klasse werden Hausaufgaben gemacht, das Gelernte geübt und gemeinsam besprochen. | GettyImages/ Martin-dm E+

Neue Herausforderungen: Unterricht mit Screencasts und Videos

Für Anfänger bedeutet die Flipped Classroom-Methode zunächst Mehraufwand, denn Lehrkräfte müssen geeignete Lernvideos finden oder Screencasts selbst produzieren. Experten raten: Klein einsteigen. Nicht verzetteln und den Zeitaufwand überschaubar halten. Die Videos müssen nicht perfekt sein, sollten aber kurz und verständlich sein. Wer noch keine Erfahrung mit der Erstellung von Erklärvideos hat, kann mit bereits verfügbarem Online-Material beginnen. Immer mehr Lehrkräfte stellen ihre Produktionen zur Verfügung, wie zum Beispiel Sebastian Schmidt, der als Hauptvertreter des Flipped Classroom Lernvideos für Mathematik erstellt hat oder der Deutschlehrer Marcus von Amsberg, der unter ivi-education sehr viele Erklärvideos zu unterschiedlichen Fächern bereitstellt. Auf YouTube gibt es eine Hülle und Fülle an Online-Material zum Lernen mit unterschiedlichster Qualität. Bei vielen Schüler/-innen sind die kurzen Videos von Lehrerschmidt sehr beliebt.

Wer lieber selbst kreativ werden möchte, kann diverse Softwareprogramme zum Aufzeichnen von Videos und Screencasts nutzen. Für eigene Videoproduktionen und Aufzeichnungen gibt es diverse Softwareprogramme (wie z.B. Opencast Studio, OBS Studio, xbox Game Bar, Sceencast-O-Matic, Debut Video Capture u.v.a.) und Anleitungen zum Ausprobieren.

Mit kleinen Tutorials lernen Lehrkräfte, wie sie Lernvideos selbst erstellen können (für Anfänger).

MDR Wissen: Lernvideos selber machen – So geht´s. (YouTube)

Wie erstelle ich einen Screencast? Die wichtigsten Planungsschritte.

Welche Tools eignen sich für Screencasts?

Ulrike Boscher

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