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Die heilige Frage der Medienzeit – Nicht „wie lange“, sondern „was"?!

Marlene Feller
Links steht der Text:Interview mit Nora Buenger. Rechts sieht man Nora Buenger, eine Frau mit braunen kuerzeren Haaren und Brille, die laechelt.

Nora ist Medienpädagogin und freie Referentin am Landesmedienzentrum. | LMZ BW

Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen sinnvoll begleiten

Genau darüber haben wir mit Medienpädagogin und LMZ-Referentin Nora Bünger gesprochen. Sie erklärt, ...

  • wo Heranwachsende im Netz unterwegs sind und was sie dort konsumieren,
  • was problematisch an Zeit-Regelungen und Faustregeln wie der bekannten 3-6-9-12-Regel sein kann,
  • wie Eltern gemeinsam mit ihren Kindern faire Mediennutzungsregeln aufstellen und
  • was Lehrkräfte und Schulen in Bezug auf eine reflektierte Mediennutzung leisten können. 

 

Als Erstes sollte man sich immer die Frage stellen: Warum möchte ich die Mediennutzung meines Kindes zeitlich begrenzen?“

Nora, du hast schon viele Workshops mit Kindern und Jugendlichen über soziale Medien geleitet. Gibt es deiner Erfahrung nach eine Plattform, auf der Kinder und Jugendliche am meisten Zeit verbringen? 

Das ist schwierig zu sagen, denn „die eine“ gibt es nicht. Die beliebtesten fünf Plattformen unter Heranwachsenden sind WhatsApp, Instagram, Snapchat, TikTok und YouTube. Gaming-Plattformen wie zum Beispiel Roblox werden auch sehr häufig genannt. Was aktuell aber ein ganz starkes Phänomen ist, womit Kinder und Jugendliche sehr viel Zeit verbringen, sind Kurzvideos auf verschiedenen Plattformen. Diese gibt es ja neben TikTok mittlerweile auch als YouTube Shorts, in Snapchat oder als Instagram Reel. Auf welcher Plattform Heranwachsende sich Videos anschauen oder Online-Spiele spielen ist also eigentlich irrelevant, es kommt vielmehr auf die Inhalte und Formate an, die bestimmen, womit viel Zeit verbracht wird.

 

Oft poppt das Thema „Medienzeiten“ auf, wenn es darum geht, wie oft und wie lange Kinder und Jugendliche Medien nutzen sollten. Was hältst du von dem Begriff? Braucht es deiner Meinung nach fest geregelte Medienzeiten? 

Als Erstes sollte man sich immer die Frage stellen: Warum möchte ich die Mediennutzung meines Kindes zeitlich begrenzen? Für einige Familien kann es sicherlich hilfreich sein, klare Medienzeiten aufzustellen, was auch technisch gut lösbar ist. Bei den allermeisten Geräten kann man die Bildschirmzeit einstellen, sodass nach beispielsweise 30 Minuten das Gerät ausgeht oder bestimmte Apps gesperrt werden. 

Es gibt war Empfehlungen für gewisse Zeiten in verschiedenen Altersgruppen, aber keine davon ist wissenschaftlich untersucht. Kinder tauschen sich sowieso irgendwann mit anderen Kindern aus und werden dann feststellen, dass jedes Kind andere Zeitregeln hat. Das eine darf total lange TV schauen oder hat gar keine Beschränkung, das nächste darf maximal 30 Minuten am Tag irgendwas mit Medien machen. Und wenn man dann mit seinen Kindern diskutiert, hat man eben ohne diese wissenschaftliche Grundlage keine ernsthaften Argumente, warum sie nur so und solange ein gewisses Medium nutzen dürfen.

Was viel besser funktioniert: Regeln wie „Du darfst jetzt drei Runden spielen“ oder „Du kannst noch eine Sendung schauen“. Diese Angaben können Kinder viel besser nachvollziehen und man kann solche viel besser individuell anpassen.

 

Was ist, wenn sich Kinder nicht an diese Vorgaben halten? Hältst du Medienentzug oder Reduzierung des Medienkonsums als Strafe für sinnvoll? 

Konsequenzen sollten immer direkt mit der Ursache zusammenhängen. Wenn man Kindern sagt: „Du darfst heute keine Serie schauen, du hast dein Zimmer nicht aufgeräumt“, dann ist das nicht nachvollziehbar. Das eine hängt mit dem anderen nicht zusammen. Wenn aber mein Kind heimlich sehr viel länger ein Medium nutzt als ausgemacht war, dann kann Medienentzug natürlich eine logische Konsequenz sein. Beispielsweise für den Rest des Tages kein Fernsehen mehr, auch wenn um diese Zeit eigentlich immer die Lieblingssendung kommt. Ansonsten halte ich nicht viel von Medienentzug als Strafe aufgrund von Fehlverhalten. 

 

Die Problematik der 3-6-9-12-Regel

Im Netz taucht oft die 3-6-9-12-Regel auf. Eine Faustregel, die Eltern eine Orientierung bieten soll, welche Medien ihre Kinder in welchem Alter nutzen sollten: Kein Fernsehen unter 3 Jahren, keine eigene Spielkonsole vor 6, Internet nach 9 und soziale Netzwerke erst nach 12 Jahren. Wie ist deine Meinung zu dieser Regel?

Das Problem an dieser Faustformel ist, dass sie eine falsche Sicherheit vortäuscht. Wenn wir uns beispielsweise die Regel "Internet erst nach 9 Jahren" anschauen, merken wir schnell, dass Kinder vor neun Jahren bereits viele Erfahrungen mit dem Internet machen. Sie streamen zum Beispiel eine Kindersendung oder sehen, wie die Eltern etwas auf dem Smartphone im Internet nachlesen. Manche machen auch schon in der Grundschule erste Erfahrungen damit.  

Gleichzeitig sind Kinder nicht automatisch auf alles im Netz vorbereitet, nur weil das Kind laut der Regel älter als neun Jahre ist. Das meine ich mit der falschen Sicherheit. Viel wichtiger ist es, sich als Eltern aktiv zu informieren und das Kind früh in der Mediennutzung zu begleiten. Das bedeutet auch, dem Kind jederzeit die Gewissheit zu geben, dass man die Ansprechperson bei Problemen oder Unsicherheiten ist. Das halte ich für sinnvoller, als sich auf eine Faustregel zu verlassen.

Gemeinsam eigene Regeln aufstellen, die für alle gelten

Wenn ich als Elternteil selbst viel am Handy bin, wie gehe ich damit um? Sollte ich das Handy vor meinen Kindern ganz in der Tasche lassen?

Eltern haben eine enorme Vorbildwirkung. Wenn diese jetzt strenge Regeln für die Mediennutzung ihres Kindes vorgeben, aber selbst die ganze Zeit Medien nutzen, kann das schnell nach hinten losgehen. Vor allem jüngere Kinder können noch nicht nachvollziehen und differenzieren, was Eltern die ganze Zeit am Handy machen, sei es stundenlang Zeit auf Instagram verbringen, eine Tageszeitung lesen oder etwas Wichtiges für die Arbeit erledigen. Wenn Kinder das noch nicht nachvollziehen können, fühlen sie sich oft nicht gesehen oder haben das Gefühl, dass das Gerät wichtiger ist. Deswegen ist es auf jeden Fall sinnvoll, sich umzustellen und auch bestimmte Zeiten zu haben, in denen man gar nicht am Handy, Tablet oder PC ist. 

Umgekehrt kann man auch von vornherein transparent kommunizieren, indem man dem Kind bewusst spiegelt, was man gerade am Handy macht, zum Beispiel: „Ich schaue gerade, wie das Wetter wird, damit wir wissen, ob wir Regenjacken mitnehmen müssen.“ oder „Die Oma hat mir gerade geschrieben und gefragt, ob sie am Sonntag kommen kann, ich antworte ihr kurz.“ – Dadurch lernt das Kind, dass dieses Gerät ein Werkzeug ist, dass für verschiedene Dinge bewusst eingesetzt werden kann.

 

Welche drei Tipps kannst du Eltern mitgeben, die bisher noch keine Regeln für Mediennutzung mit ihren Kindern ausgemacht oder Konflikte mit ihren Kindern in Sachen Mediennutzung haben?

Erstens: Als Elternteil sollte man sich mal fragen: Warum will ich diese Regeln aufstellen und was will ich damit erreichen? Und: Was soll mein Kind stattdessen gerade tun? Zum Beispiel ist mir vielleicht wichtig, dass das Kind auf jeden Fall auch rausgehet und sich bewegen soll, die Hausaufgaben erledigt und lernt. Wenn das ausreichend passiert, was spricht denn dagegen, wenn das Kind auch mal mehr Medienzeit hat? Wenn es mal länger mit Freunden gemeinsam ein Online-Spiel spielt, weil es gerade so spannend ist oder doch noch eine weitere Sendung schaut. Das wäre mein erster Tipp: Sich zu überlegen, warum stelle ich die Regeln auf und was macht überhaupt Sinn. 

Der zweite Tipp: Überlegt, was besser für euch passt. Manche bevorzugen klare Zeiten, die man auch technisch über die Bildschirmzeit tracken kann. Also sowas wie: Mein Kind darf 45 Minuten am Tag das Tablet nutzen. Das Problem ist hier aber, dass Kinder oft nicht einschätzen können, wie viel Zeit vergangen ist.  Dann wäre es einfacher zu sagen „Okay, du kannst noch drei Level in einem Spiel spielen“ oder „du darfst noch zwei Folgen schauen.“ Dafür muss man sich natürlich intensiver mit den Lieblingsmedien des Kindes auseinandersetzen.  Wie funktioniert das Spiel, was mein Kind gerne spielt? Was sind da sinnvolle Zeiteinheiten? Das geht natürlich auch mit mehr Aufwand einher und es ist etwas schwieriger zu kontrollieren, aber für das Kind ist es auf jeden Fall besser nachvollziehbar. 

Dritter Tipp: Stellt zusammen Regeln für die Mediennutzung in der Familie auf. Es müssen auf keinen Fall nur Regeln zu Medienzeiten sein. Das dürfen auch Regeln zu anderen Dingen sein, die für Erwachsene genauso gelten. Zum Beispiel: „Kein Smartphone beim gemeinsamen Essen.“ Oder: „Ich unterbreche Menschen, die telefonieren nicht direkt, sondern gebe ein ausgemachtes Geheimzeichen, wenn ich etwas ganz Wichtiges zu sagen habe.“ Auf der Website mediennutzungsvertrag.de kann man gemeinsam einen Vertrag mit verschiedenen Vorlagen erstellen, den man sich dann zum Beispiel an den Kühlschrank hängt und auch immer wieder neu anpassen kann, je nach Alter. 

Was können und sollten Lehrkräfte im Bereich Aufklärung der Mediennutzung leisten und was ist eher Aufgabe der Eltern?

Der wichtigste Punkt: Beide Seiten sollen sich nicht auf die andere Seite verlassen und eigentlich sollten sich am besten Eltern und Lehrkräfte bzw. Schulen hundertprozentig dafür verantwortlich fühlen, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu fördern.  

In der Schule legt der Bildungsplan schon einiges fest. In Baden-Württemberg gibt es den Basiskurs Medienbildung, der alle Schülerinnen und Schüler zumindest auf ein gleiches Level an Grundwissen über Medien bringen soll. Schule sollte unbedingt auch Reflexion über Medieninhalte anregen und auch für Gefahren sensibilisieren. Das ist vor allem wichtig, weil Elternhäuser sich sehr unterschiedlich mit Medien beschäftigen und ihre Kinder nicht gleich gut unterstützen können.  

Was Eltern angeht, sehe ich die Hauptaufgabe besonders im Grundschulalter. Man darf nicht davon ausgehen, dass die Schule die Medienbildung bereits fördert und schon gar nicht das Kind vor Gefahren schützt. Hier sind Eltern auf jeden Fall sehr gefragt, denn Kinder brauchen in dieser Zeit viel Begleitung, um eigenständig und reflektiert mit Medien umgehen zu können.

Nora, vielen Dank für das Gespräch und deine hilfreichen Tipps!  

Über Nora Bünger

Nora ist selbstständige Medienpädagogin und freie Referentin am Landesmedienzentrum. Sie konzipiert und leitet Workshops für Kinder und Jugendliche, Elternabende sowie Fachveranstaltungen für Pädagog*innen. Ihre Fachbereiche sind sichere Mediennutzung, Präventionsarbeit und aktive Medienarbeit. 

Nora Link-Tipps für Mediennutzung und Medienzeiten auf Sozialen Plattformen: 

Website von Nora Bünger

Marlene Feller

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