Digitalisierung ist noch jung

„Stellen Sie sich vor, wir hätten heute noch keine Schulen, hätten aber die Aufgabe Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche zu erschaffen. Würden wir dann solche Institutionen schaffen, wie wir sie heute haben oder würden diese räumlich und strukturell ganz anders aussehen?“ Dieses Gedankenspiel gab Professor Stefan Aufenanger den Gästen des Kongresses als „Hausaufgabe“ mit. Und wenn man darüber nachdenkt, fallen einem sogleich einige Dinge ein, die man selbst sicher anders machen und gestalten würde, als sie heute sind. Das kleine Gedankenspiel macht außerdem deutlich: Es stehen Veränderungen an, gerade aufgrund der Entwicklung hin zu einer digitalen Gesellschaft.

Diese Entwicklung ist noch jung. „Wir haben sie gerade einmal zehn bis 15 Jahre und müssen ihren tieferen Sinn und Fortgang erst noch entdecken und entwickeln “, stellte Professor Stefan Aufenanger während seines Vortrags fest. Alle bisherigen umwälzenden Entwicklungen wie die Einführung der Schrift oder des Buchdrucks entfalteten ihre Wirksamkeit und verändernde Kraft über lange Zeiträume hinweg, die Digitalisierung tue dies in viel höherem Tempo und stelle uns alle damit vor große Veränderungen und neue Anforderungen. „Uns fehlt noch die normalisierte und wirklich sinnvolle Umgehensweise damit“, so Stefan Aufenanger, „unsere Aufgabe ist es, diese Normalisierung voranzubringen“.

Stefan Aufenanger beim Bildungskongress 2017

Stefan Aufenanger beim Bildungskongress 2017 | Martin Storz

Veränderte Lernwelten

Hierzu gehöre digitale Bildung und die wollte Stefan Aufenanger verstanden wissen als „Befähigung, in einer digital geprägten Welt souverän und sozial verantwortlich handeln zu können und in Würde zu leben“. Die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen – von den Eltern über Schule und Wissenschaft bis hin zu den Arbeitgeberverbänden – forderten inzwischen eine umfassende digitale Bildung, um die Menschen auf ein digitales Leben vorzubereiten. Kindheit verändere sich im Moment dramatisch, was jeder in seiner unmittelbaren Umgebung wahrnehmen könne, wo bereits Zweijährige Smartphones und Tablets für ihre Zwecke bedienen können. „Und dies geschieht unabhängig davon, ob wir dies für sinnvoll halten oder nicht, es ist Realität“. Eltern erkennen darin eine immense Herausforderung, denn das gesamte Familienleben verändere sich durch die Allgegenwart digitaler Medien und die Erziehung erfordere ganz neue Herangehensweisen.

Ebenso veränderten sich schulische Lernwelten und auch hier hätten Entscheidungsträger erkannt, dass Medienbildung notwendig ist. „Das bedeutet auch, dass in der Lehrerbildung etwas getan werden muss“, so Stefan Aufenanger. Beim Einsatz digitaler Medien im Unterricht sieht der Erziehungswissenschaftler unter anderem folgende Potenziale:

  • Veranschaulichung des Lernstoffs und Simulation von Versuchen
  • Erweiterte Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten
  • Erweiterung der Lernräume – zeitlich und räumlich
  • Verbesserung des Lernens
  • Selbstorganisiertes/personalisiertes Lernen

Technologie ist nicht alles

Es komme freilich darauf an, nicht nur Technologie in die Klassenzimmer zu stecken, wie etwa Tablets, sondern es komme zugleich auf begleitende Unterstützung sowohl technisch wie inhaltlich an. Bildungswissenschaftler forderte Aufenanger auf: „Geben Sie den Lehrkräften Zeit, sich mit neuen Technologien und Herangehensweisen vertraut zu machen und sie für sich zu adaptieren. Machen Sie Schluss damit, heute digitale Medien in eine Schule zu geben und morgen bereits Ergebnisse oder gar Erfolge zu erwarten.“ Entgegen den Behauptungen von Kritikern, so Aufenanger, „wissen wir inzwischen durch Pilotprojekte und Studien recht genau, worauf es für den und im Unterricht ankommt und was wir vom Einsatz digitaler Medien erwarten können“:

Es braucht eine ausreichende und funktionierende mediale Infrastruktur.
Impulse für innovativen Unterricht, Konzepte, die es dafür gibt, verändern die Lernkultur.
Es kommt häufiger zu Gruppenarbeit und diese verläuft intensiver.
Motivation und Fortbildung der Lehrkräfte ist grundlegend für einen produktiven Medieneinsatz.
Schüler/-innen sind häufig motivierter und engagierter bei der Sache.
Sie haben mehr Möglichkeiten zum selbstgesteuerten Lernen.
Es findet eine vermehrte Kommunikation zwischen allen Akteuren (auch mit Eltern) des Schullebens statt.
Eine direkte Leistungssteigerung ist nicht erwartbar.

Nutzungsregeln sind unabdingbar

Die viel gescholtene Ablenkung der Schülerinnen und Schüler durch digitale Medien ist ein Anfangsproblem – hier helfen gemeinsam erarbeitete Regeln.

  • Die Vorteile digitaler Medien im Unterricht liegen für Stefan Aufenanger auf der Hand:
  • Es kann an authentischen Problemen gearbeitet werden.
  • Der Bezug zu den Lebenswirklichkeiten der Kinder und Jugendlichen ist gegeben.
  • Die Komplexität von Aufgaben kann besser erläutert und schließlich bearbeitet werden.
  • Kollaboratives Arbeiten ist möglich.
  • Es erfolgt eine Entwicklung von metakognitiven Fähigkeiten.
  • Reflexion und Transformation von Gelerntem findet leichter statt.
  • Es ist sehr gut möglich, den Lernenden individualisierte Unterstützung mit erweiterten Online-Angeboten angedeihen zu lassen.
  • Die Lehrkraft ist nicht mehr ausschließlich Wissensvermittler, sondern eher Kurator/-in von Lernprozessen.

Nach Auffassung von Stefan Aufenanger sollte die Technik im Unterricht in den Hintergrund treten und nur unterstützend zum Einsatz kommen. Hier stimmte er ganz mit seiner Vorrednerin, Kultusministerin Susanne Eisenmann, überein: „Technik muss der Pädagogik folgen, sie ist nicht Selbstzweck, sondern wertvolles Werkzeug, mit dem gearbeitet und gelernt werden kann.“

Ingrid Bounin

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