Praxisforum 3: Digitales Erleben und Kommunikation
Hier finden Sie eine Zusammenfassung des Praxisforums zu digitalem Erleben und Kommunikation.
Potenziale digitalen Erlebens
Im Praxisforum „Potenziale digitalen Erlebens“ drehte sich alles um die Möglichkeiten von Virtual Reality und Gamification in der Bildung. Mike Weber vom Fraunhofer Institut in Berlin gab den theoretischen Hintergrund zu Gamification und Stephanie Wössner vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg (LMZ) stellte praktische Anwendung von Virtual Reality im Unterricht vor.
Unter Gamification versteht man das Einbringen spielerischer Elemente in nicht-spielerische Kontexte, um damit bei einer Zielgruppe Handlungsmotivation zu schaffen und erwünschtes Verhalten zu verstärken, oder, wie es Mike Weber plakativer ausdrückte: „Leute mit spielerischen Elementen dazu bringen, etwas zu tun, was sie sonst vielleicht gar nicht tun würden.“
Mike Weber beim Bildungskongress 2017 | Martin Storz
Gamification im Alltag und in der Pädagogik
Als Beispiel zeigte er das Video eines Flaschencontainers in Schweden. Man hatte sich dort die Frage gestellt, wen man Leute dazu bekommen könne, Flaschen in den Recyclingbehälter zu werfen. Denn im Gegensatz zu Pfandflaschen wurden Flaschen ohne Pfand offenbar gerne anderweitig entsorgt. Man versah nun einen solchen Flaschencontainer mit einer Art simplem Arcade-Spiel, bei dem man für den Einwurf einer Flasche in die jeweils durch Lichtzeichen angezeigte Öffnung Punkte erhielt.
„Ich wage die These, dass Sie Ihr Müllproblem an der Schule für lange Zeit lösen, wenn Sie so ein Ding aufstellen“, verdeutliche Weber die motivierende Wirkung von spielerischen Elementen. Das Konzept lässt sich, so Weber, auch auf die Bildung übertragen. Er prognostizierte einen Schub im Feld der Gamification durch die „Allgegenwart neuer Technologien“, insbesondere Smartphones und Tablets. Dies schaffe zugleich eine „Allgegenwart von Lernmöglichkeiten“. Zudem werde die Vorstellung von „virtuell“ und „real“ zunehmend verschwinden: „Ich wage die These, dass das in zehn Jahren niemand mehr so sagt, es wird alles eins sein. Die Frage, ob Frau Wössner dann nur noch als Hologramm hierherkommt oder leibhaftig, wird verschwinden.“
Weber sieht insgesamt großes Potenzial in computergenerierten Umgebungen, mit denen man als Nutzerin und Nutzer interagieren kann. Die Immersion, das komplette Eintauchen in diese Welten, werde durch die verbesserte Technologie immer intensiver. Das Schöne dabei sei, dass man dadurch Möglichkeiten bekomme, die sonst nicht oder nur zu hohen Kosten realisierbar seien, wie bestimmte Reisen. Zudem könne man mit der Virtuellen Realität Dinge ausprobieren, ohne dass sie in der realen Welt handfeste Auswirkungen hätten.
Durch solche realistische Szenarien könne man durchaus Empathie bei den Nutzerinnen und Nutzern erzeugen, wenn man problematische Szenarien wie etwa den Bürgerkrieg in Sarajevo thematisiere. Andererseits stelle sich jedoch die Frage, ob dies nicht zu einer „Bagatellisierung von Erleben und Erfahren“ führen könne. Neben den Vorteilen, wie dem zeit- und ortsungebundenen Erleben von Dingen, gäbe es eben auch kritische Punkte wie Reizüberflutung und Überforderung der Betroffenen.
Stephanie Wössner: Virtual Reality im Unterricht
Stephanie Wössner gab zunächst einen Einblick in die Geschichte der virtuellen Realität, die deutlich weiter zurückreicht als man gemeinhin denken würde. Bereits im 19. Jahrhundert existierten 360-Grad-Panoramabilder, deren Zweck es war, das Sichtfeld des Betrachters auszufüllen, um ihm die Illusion zu vermitteln, mitten im Geschehen zu stehen. Zudem gab es schon damals stereoskopische Fotos und Bildbetrachter, die dreidimensionale Bilder entstehen ließen.
Zur theoretischen Verortung von Virtual Reality im Unterricht zog die Referentin das SAMR-Modell von Puentedura heran. Dieses zeigt auf, wie Technologie in den Unterricht integriert werden kann. Sie kann entweder den herkömmlichen Unterricht ergänzen, oder ihn komplett verändern und weiterentwickeln.
Momentan, so Wössner, befänden wir uns im Schulalltag zumeist im Bereich der Substitution, bei dem ein Medium durch ein anderes ersetzt werde. Erweiterung wäre dagegen etwa ein interaktives Lehrbuch. Langfristig ginge es jedoch darum, Unterricht ganz neu zu organisieren, die Umgestaltung des kompletten Unterrichts, Unmögliches möglich zu machen.
Sie betonte die Wichtigkeit von Kommunikation als Schlüsselkompetenz unserer Zeit. Hierbei käme der virtuellen Realität eine wichtige Rolle zum Beispiel im Fremdsprachunterricht zu. Die Idealvorstellung sei es, wenn dabei nicht nur der reine Konsum von bildungsrelevanten 360-Grad-Videos im Fokus stünde, sondern auch die Erstellung eigener Welten und die Interaktion mit diesen. Momentan sei die Technik jedoch noch sehr teuer, vor allem die benötigten Rechner.
Stephanie Wössner beim Bildungskongress 2017 | Martin Storz
Beeindruckende Immersion
Zur Veranschaulichung stellte Stephanie Wössner das Tutorial für die Oculus Rift vor. Dabei wurde sie vom bekannten Roboter WALL·E instruiert. Über die Handcontroller steuerte sie Bewegungen im virtuellen Raum und interagierte mit dem Roboter. Die Zuschauerinnen und Zuschauer erhielten so einen Eindruck von den Möglichkeiten, die Virtual Reality bietet. Wössner berichtete eindrücklich von dem mitgelieferten Demo-Spiel der Oculus Rift und der intensiven Immersion, also dem Eintauchen in die virtuelle Welt: „Ich habe 15 Minuten gebraucht um zu realisieren, dass mich die Roboter nicht anspringen, dass mir gar nichts passieren kann.“
Nach der Praxisvorstellung zeigte Wössner noch einige konkrete Anwendungen für den Unterricht. Das Angebot Google Expeditions bietet zum Beispiel 360-Grad-Bilder, die man mit Schüler(-inne)n relativ einfach einsetzen kann. Man könne etwa „ins Great Barrier Reef“, wenn man in Biologie gerade das Thema Korallen behandle, so die Referentin. Mit Cardboards, einfachen VR-Brillen auf Smartphone-Basis, habe sie einmal mit ihrer Klasse die Freiheitsstatue in New York betrachtet. „Ich habe meine Schüler noch nie so vor Begeisterung schreien hören in meinem Unterricht“, berichtete sie enthusiastisch.
Google Arts&Culture wiederum bietet Einblicke in Museen, teils in 3D. Auch historische Szenen sind enthalten. Es gibt mehrere Kooperationen mit Museen in Deutschland, etwa mit dem Naturkundlichen Museum in Berlin.
„Einfacher als man denkt“
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung brauche man für den Einsatz von VR im Unterricht kein WLAN-Netzwerk. Sie habe einfach eine alte Fritzbox genommen, über die die einzelnen Smartphones untereinander kommunizieren können. Die Daten von Google Expeditions habe sie auf ihrem Tablet zur Verfügung gestellt, eine Internetverbindung war nicht nötig. Letztlich bewege man sich jedoch mit solchen Unterrichtsideen immer noch im linken Bereich des SAMR-Models, die Schüler/-innen seien nur passiv, so Wössner.
Ein weiterer Anbieter für VR-Anwendungen ist Unimersiv. Die Firma bietet Apps zu verschiedenen Themen an, beispielsweise Dinosaurier, das menschliches Gehirn oder das alte Rom. Sie sind durchweg in Englisch und eignen sich daher, so Stephanie Wössner, für fächerübergreifenden Unterricht und die Übung von englischem Hörverstehen.
Für den Fremdsprachunterricht sei das Soziale Netzwerk V-Time von Interesse, mit dem man mit Schulklassen aus anderen Ländern in Verbindung treten könne.
Für CoSpaces-Projekt ausgezeichnet
Eine App zum Erstellen eigener virtueller Welten ist CoSpaces. Stephanie Wössner hat sie in einem Projekt mit ihrer 9. Klasse in Französisch eingesetzt. Die Klasse hatte sich im Unterricht mit dem Roman „Fatou Rama“ von Mfa Kera befasst. Danach haben die Schülerinnen und Schüler das Szenario des Buches mit Hilfe der App virtuell nachgebaut. In einzelne Kapitel unterteilt, wurden imaginäre Tagebucheinträge der Protagonistin erstellt und eingesprochen. Diese werden abgespielt, während man sich durch die virtuelle Umgebung bewegen kann und vermitteln einen Eindruck von der Gefühlswelt der im Senegal lebenden Hauptperson Kera.
Für dieses Projekt ist Stephanie Wössners mit ihrer Klasse jüngst mit dem dritten Platz des Deutschen Multimediapreises mb21 in der Altersgruppe 11–15 Jahre ausgezeichnet worden. Das Beispiel zeigt, dass Virtual Reality ohne außergewöhnliche Ausstattung an einer ganz normalen Schule ihren Platz im Unterricht finden kann. Es zeigt jedoch auch, dass dazu großes Engagement und Fachwissen seitens der Lehrkraft nötig ist.
Jiří Hönes
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