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Plattformen zum Testen von Identitäten

Geht man von unserer heutigen, pluralistischen Gesellschaft aus, gestaltet es sich gerade für Jugendliche immer schwieriger, innerhalb der unendlichen Fülle an Angeboten und Möglichkeiten eine Identität mit der entsprechenden Wertorientierung zu entwickeln. Während im modernen Identitätsverständnis der Gedanke von Dauerhaftigkeit vorherrscht, findet sich in neueren postmodernen Vorstellungen eine Hinwendung zur Idee von einer lebenslangen Prozesshaftigkeit. Es wird folglich nicht mehr nur eine feste Identität ausgebildet, an der man sein ganzes Leben lang festhält, sondern man entwickelt mehrere Teil-Identitäten, die immer wieder in Frage gestellt und durch neue Lebensentwürfe getauscht oder erweitert werden.

In dieser Fülle an Anforderungen, denen die Jugendlichen gegenüberstehen, bieten gerade soziale Netzwerke und Messenger einen Raum, um solche Teil-Identitäten frei von Raum und Zeit auszutesten. Mithilfe von Fotos, Texten, Videos, Collagen usw. stellen sich die Jugendlichen selbst dar und hoffen auf Bestätigung durch Gleichaltrige. Findet ein Handlungsentwurf nicht die Aufmerksamkeit, die sich der Jugendliche versprochen hat, wird er verworfen, durch einen anderen Ansatz ersetzt und wieder veröffentlicht, um auch hier die Rückmeldung der Peergroup abzuwarten.

Die Jugendlichen brennen sprichwörtlich darauf, sich selbst darstellen und austesten zu können. Gleichzeitig können sie, neben dem aktiven Part der Selbstdarstellung, auch „passiv“ tätig werden, indem sie andere Personen und Vorbilder genauer beobachten und sich daraus neue Handlungsmuster und mögliche Lebensstile kreieren. An dieser Stelle kommen auch wieder die Influencer auf YouTube und anderen Plattformen ins Spiel. Mithilfe der sozialen Netzwerke und Messenger ist es ein Leichtes, Menschen mit gleichen Interessen kennenzulernen und mit ihnen in Kontakt zu treten. Selbst wenn man im Alltag eine eher zurückhaltende Person ist, bietet die Tatsache der indirekten Kommunikation einen entscheidenden Vorteil und damit auch einen weiteren Grund für die enorme Faszination rund um die sozialen Netzwerke und Messenger.

Mädchen vor einem Spiegel

GettyImages/golero

Elternfreie Räume

Ebenfalls interessant für Jugendliche ist die Grundidee des erwachsenenfreien Raums in sozialen Netzwerken und Messengern. Fernab vom reglementierten Alltag, von Kritik, Sanktionen oder elterlichen Ratschlägen können die Heranwachsenden ihre Entwürfe austesten und schrittweise relevante Entwicklungsaufgaben bewältigen. Vielleicht ist auch die Tatsache, dass immer mehr Erwachsene ein Profil bei Facebook pflegen, einer der Gründe für die schrittweise Abwanderung der Jugendlichen zu konkurrierenden Anbietern. Neben dem Experimentieren mit der eigenen Person bildet das Beziehungsmanagement einen weiteren Grund für die enorme Faszination der sozialen Netzwerke und Messenger. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann man sich u.a. über die neusten Erlebnisse austauschen, Sprachnachrichten hinterlassen, Bilder versenden und dabei die Position in seiner Clique, einer Beziehung oder seiner Klasse weiter festigen.

„In diesen digitalen Netzwerken [...] üben sie allerlei nützliche Dinge: Sie lernen, was es heißt, Freunde zu sein, Identitäten zu entwickeln, mit Status zu experimentieren und unterschiedliche Kommunikationssignale zu interpretieren. Diese Umgebungen ermöglichen das Spiel mit verschiedenen Identitäten – eine aus psychologischer Sicht wichtige Phase bei der allgemeinen Identitätsbildung.“

Quellen

[1] Döring, Nicola:

Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. Göttingen u.a., S. 325f. zurück nach oben

[2] Schorb, Bernd:

Mediale Identitätsarbeit: Zwischen Realität, Experiment und Provokation. In: Helga Theunert (Hrsg.): Jugend – Medien – Identität. Identitätsarbeit Jugendlicher mit und in Medien, München 2009. S. 81–93, hier S. 85. zurück nach oben

[3] Wagner, Ulrike:

Facetten medialer Identitätsarbeit: Kommunikatives und produktives Medienhandeln in Online-Räumen. In: Helga Theunert (Hrsg.): Jugend – Medien – Identität. Identitätsarbeit Jugendlicher mit und in Medien, München 2009, S. 115–125, hier S. 117. zurück nach oben

[4] Palfrey, John und Gasser, Urs:

Generation Internet. Die Digital Natives: Wie sie leben, was sie denken, wie sie arbeiten. München 2008, S. 30. zurück nach oben

Jennifer Madelmond

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