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Jihadistischer und legalistischer Islamismus

Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA scheinen der Begriff „Islamismus“ und die damit verbundene Sorge vor Attentaten omnipräsent. Im medialen und wissenschaftlichen Diskurs wird der Begriff entweder synonym oder in enger Beziehung zu Bezeichnungen wie „Jihadismus“, „Islamischer Fundamentalismus“, „Politischer Islam“ oder auch „Radikale Muslime“ verwendet.

Islamismus ist dabei eine Sammelbezeichnung „für alle politischen Auffassungen und Handlungen, die im Namen des Islam die Errichtung einer allein religiös legitimierten Gesellschafts- und Staatsordnung anstreben“. Im Fokus steht nicht notwendigerweise die Anwendung von Gewalt und Terror. So gibt es zu Gewalt neigende (jihadistische) und reformorientierte (legalistische) islamistische Strömungen. Letztere zielen auf eine Veränderung des politischen Systems mit politischen Mitteln ab. In der Realität mischen sich diese Strömungen jedoch immer wieder. Denkt man den absoluten Wunsch nach Abschaffung bestehender Staats- und Gesellschaftsordnungen zu Ende, führt dieser davon abgesehen zwangsläufig zur Anwendung von Gewalt.

In Deutschland hat sich der Salafismus als wesentliche Erscheinungsform des Islamismus herausgebildet. Dieser richtet sich aus „an den angeblichen oder tatsächlichen Gesellschafts- und Religionsvorstellungen der Frühgeschichte des Islam, welche Abweichungen oder Neuerungen kaum beziehungsweise nicht zulassen“.

Ein Mann mit umgehängtem Gewehr, Munition auf dem Rücken und schwarz vermummtem Gesicht blickt in die Ferne.

zabelin via Getty Images

Islamischer Gottesstaat statt säkularer Demokratie

Islamistinnen und Islamisten nehmen „die Existenz einer gottgewollten, daher ‚wahren‘ und absoluten Ordnung, die über den von Menschen gemachten Ordnungen steht“, an. Aus diesem Grund lehnen sie die Trennung von Religion und Staat ab. Der Islam soll im Gegenteil institutionell verankert und durch die Anwendung der Scharia als gesetzliche Ordnung legitimiert werden. Andere Religionen und Weltanschauungen sind in diesem System nicht zugelassen. Ziel ist das Ideal einer homogenen muslimischen Weltgemeinschaft, die sich dem vermeintlich „wahren Glauben“ unterwirft.

Damit einher geht die Nichtanerkennung bzw. Zurückweisung von rechtstaatlichen Prinzipien, Pluralismus, Menschenrechten, Individualität und Volkssouveränität (Pfahl-Traughber, 2011a). Bestehende, abweichende Gesellschaftsordnungen sollen notfalls mittels Gewaltanwendung abgeschafft werden. Gewalt und Ablehnung richten sich dabei nicht nur gegen „Ungläubige“ („Kuffar“), sondern auch gegen Musliminnen und Muslime, die diese (westlichen) Gesellschaftssysteme akzeptieren und stützen.

Bedrohung der muslimischen Gemeinschaft durch die „westliche Mehrheitsgesellschaft“

Der „natürliche Feind“ des Islamismus ist „der Westen“. Dieser wird verurteilt, da seine moralische Verdorbenheit dafür verantwortlich sei, dass Musliminnen und Muslime diskriminiert, ausgegrenzt und unterdrückt würden. Dies zeige sich etwa in Diskussionen über Burkaverbote in „westlichen Ländern“ oder der Unterdrückung von (gläubigen) Musliminnen und Muslimen durch staatliche Institutionen (z.B. das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen oder Rechtsreferendarinnen bei bestimmten dienstlichen Tätigkeiten). Real erlebte Diskriminierungserfahrungen als gläubige Musliminnen und Muslime werden damit als Mobilisierungsthema instrumentalisiert. Rechtsextreme Agitation und antimuslimischer Rassismus ebnen so den Weg für diese Art der islamistischen Ansprache („Konvergenz der Gegensätze“).
„Westliche Regierungen“ beteiligten sich zudem an bewaffneten Konflikten gegen Musliminnen und Muslime weltweit, wie z.B. dem Nahost-Konflikt oder dem Völkermord an den Uiguren in China. Diese Konflikte werden umgedeutet in einen globalen Krieg der „westlichen Mehrheitsgesellschaft“ gegen die Musliminnen und Muslime.

 

Ausgeprägter Antizionismus

Ebenso wie im Rechtsextremismus ist Antisemitismus auch im Islamismus ein wichtiges Agitationsthema. Hierfür werden europäische judenfeindliche Narrative mit antisemitischen Bezugspunkten in der islamischen Frühgeschichte verbunden. Der moderne, islamistisch geprägte Antisemitismus äußert sich in Form eines ausgeprägten Antizionismus. Ziel ist die Zerstörung und Abschaffung des Staates Israel sowie die Errichtung eines rein muslimisch dominierten Gebietes in Palästina. Dabei nimmt der islamistische Antisemitismus auch Bezug auf Verschwörungserzählungen, die im Rechtsextremismus verbreitet sind. Dazu zählen beispielsweise die Erzählung von einer „jüdischen Weltverschwörung“ oder die „Protokolle der Weisen von Zion“. Letztere dienten im Nationalsozialismus als Rechtfertigung für den Holocaust.

Islamistische Gruppen und Strömungen in Deutschland

Das Spektrum an islamistischen Gruppen und Strömungen in Deutschland ist ebenso breit wie die ideologischen Grundlagen, auf denen sie basieren. Eine der ältesten und einflussreichsten islamistischen Vereinigungen ist die „Muslimbruderschaft“. In Deutschland existiert sie seit den 1950er-Jahren. Sie strebt den gesellschaftlichen Umsturz im Wesentlichen mit legalistischen Mitteln – also auf der Grundlage der bestehenden Gesetze – an. Dabei setzt die Muslimbruderschaft auf „die langsame Durchdringung der Gesellschaft durch eine entsprechend geschulte muslimische Elite“.

Weitere legalistisch agierende islamistische Vereine sind z.B. die „Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V.“ oder das „Islamische Zentrum Hamburg e.V.“ – zugleich die wichtigste Vertretung des Iran in Deutschland. Ableger des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS), von „Al-Quaida“, „Hamas“ und „Hizb ut-Tahrir“ bilden weitere zentrale islamistische Gruppen bzw. Strömungen. Hizb ut-Tahrir ist im deutschsprachigen Internet beispielsweise vertreten durch die Kanäle der sogenannten „Generation Islam“. Diese riefen unter anderem die Social-Media-Kampagne #NichtOhneMeinKopftuch ins Leben. Bei der Kampagne handelt es sich um einen sogenannten „Twitter-Storm“, um die Botschaften der Organisation – insbesondere islamistische Opfernarrative – an eine breite Zielgruppe zu streuen. Anlass waren die wiederaufkeimenden Diskussionen in Deutschland und Österreich um das Tragen von Kopftüchern in Schulen und Kindergärten (siehe dazu auch die Praxisinfo #NichtOhneMeinKopftuch von jugendschutz.net).

Die Salafistische Szene in Deutschland ist sehr groß. Laut Bundesinnenministerium (2020) hat sich die Zahl der Anhänger/-innen seit 2011 mehr als verdreifacht. Den größten Zustrom erhielt die Szene in der Hochphase des Islamischen Staates (IS) zwischen 2013 und 2017. Weiterhin gilt die Szene als sehr heterogen. So richten sich nicht alle Salafistinnen und Salafisten unter Einsatz von Gewalt gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO).

Die Abgrenzung des Salafismus vom Jihadismus ist herausfordernd. Während manche Forschende den Jihadismus als eine Facette von Salafismus begreifen, gibt es andere, die Salafismus und Jihadismus analytisch trennen. Größere Aufmerksamkeit erhielten Salafistinnen und Salafisten in der jüngeren Vergangenheit durch die „LIES!“-Kampagne, eine breit angelegte, öffentliche Koran-Verteilaktion. Prominente Vertreter der Szene sind beispielsweise die Konvertiten Sven Lau und Pierre Vogel.

Quellen

[4] Hasche, T. (2018):

Islamismus in der Bundesrepublik Deutschland. In Jesse, E./Mannewitz, T. (Hrsg., 2018). Extremismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis (S. 389- 426). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. zurück nach oben

[15] BMI (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat) (2020):

[16] Hummel, K. et al. (2017):

Datenlage und Herausforderungen empirischer Forschung. In: Biene, J. et al. (Hrsg.). Salafismus und Dschihadismus in Deutschland (S. 43-78). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. zurück nach oben

Dr. Josephine B. Schmitt, Wissenschaftliche Koordinatorin, CAIS

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