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Squid Game auf dem Schulhof – Was jetzt?

Christian Reinhold
Mädchen vor dem Fernseher

Mörderische Szenen und Gewaltdarstellungen im Fernsehen können Grübeleien, Angst und Schlafstörungen auslösen. | rushay booysen iStock via GettyImages

Wie soll man in der Schule und zuhause mit dem Thema Squid Game umgehen?

Eine koreanische Netflix-Serie hat in den vergangenen Wochen alle Rekorde gebrochen – auch bei Schülerinnen und Schülern. Wie kann man in der Schule das Thema Squid Game ansprechen?

Spiele um Leben und Tod, Perspektivlosigkeit, drastische Gewalt –  in der koreanischen Netflix-Serie Squid Game wird aus einfachen Kinderspielen ein brutales, blutiges Gemetzel. Zugleich ist es die erschütternde Sozialstudie einer Gesellschaft, in der sich sehr reiche Menschen in ihrem Überfluss langweilen, und die sehr armen nicht wissen, wie sie sich und ihre Familien ernähren sollen. Schon kurz nach Erscheinen war Squid Game der erfolgreichste Serienstart auf Netflix und zeitweise die meist gesehene Produktion in vielen Ländern. Die Kinderspiele der Serie – wenn auch abgewandelt und mörderisch –  sind auch eine Verlockung für Jüngere. Kein Wunder also, dass bereits bundesweit berichtet wird über Schülerinnen und Schüler, die Squid Game auf dem Pausenhof nachspielen. Wie sollten Lehrerinnen und Lehrer mit dem Thema umgehen und wie können sie Eltern und Kinder erreichen und aufklären?

Wichtige Hinweise des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg erhalten Sie auf

www.lmz-bw.de/squidgame.

Zudem haben wir eine Handreichung für Lehrkräfte mit Gesprächsimpulsen zu Squid Game für Sie erarbeitet.

 

Beachten Sie unsere Veranstaltungsreihe zu Squid Game!

Ist Squid Game schädlich für Kinder?

Squid Game ist harte Kost und wird von Netflix erst ab 16 Jahren empfohlen. Denn Gewalt wird in der Serie explizit dargestellt, der Kampf der Protagonisten wird nicht immer aufgelöst und hat häufig kein Happy End. Da die Gewalt in einer real vorstellbaren Realität – einem autoritären Kontroll- und Überwachungsstaat – verortet ist, kann sie verunsichern und zu Angstzuständen führen. Grübelei und Medienkonsum vor allem vor dem Einschlafen können dann insbesondere bei Kindern und Jugendlichen für Schlaflosigkeit sorgen. Bei einer Befragung im Jahr 2014 unter knapp 1.500 Kindern gab ein Drittel an, manchmal Alpträume aufgrund von Fernseherlebnissen zu haben.

Schülerinnen und Schüler mit Blick in ihre Handys.

Auf dem Pausenhof werden Musik-Videos, Serien oder Spiele unter Kindern und Jugendlichen gerne getauscht und weitergeleitet. | Kerkez/iStock via GettyImages

Wie gelangt die Serie an Kinder?

Über das eigene Mobiltelefon: Die Verschmelzung von Internet und Fernsehen ermöglicht, dass sich Trends wie Squid Game rasend schnell auf den Smartphones von Kindern verbreiten. Unzählige YouTuber, die die Serie in Let's Play-Videos etwa auf Roblox thematisieren, tragen die Inhalte in die Welt der Kinder. So kann jedes Kind mit einem Internet-fähigen Smartphone nach dem Schlagwort Squid Game googeln und wird unzählige Videos finden. Kinder, die über Netflix-Zugangsdaten verfügen, könnten letztendlich auch die Folgen der Serie im Schulbus anschauen.

Über das Fernsehgerät: Kindern wird der Zugang zu Squid Game leicht gemacht, sobald sie über ein gemeinsames Familienkonto auf Erwachsenen-Serien zugreifen dürfen. Insbesondere dann, wenn sie die Passwörter kennen und Jugendschutzeinstellungen auf dem Gerät nicht aktiviert sind. Ein weiterer Zugang besteht über die YouTube-Funktion vieler Smart-TVs, mit der Heranwachsende an ungeeignete Inhalte gelangen können.

Über Freunde, Geschwister und auf dem Pausenhof: Ältere Jugendliche haben oft einen uneingeschränkten Zugang zu Internet-Inhalten. Die angesagtesten Musik-Videos, Gewaltfilme oder Spiele werden unter Jugendlichen gerne getauscht und weitergeleitet. Durch diesen Tausch-Kreislauf gelangen Videos und ganze Netflix-Staffeln auch an jüngere Heranwachsende.

Welche Rolle spielen die Eltern?

Es kann nicht das Ziel von Lehrerinnen und Lehrern sein, Eltern in diesen und ähnlichen Fällen generell die Schuld zuzuweisen. Denn das versperrt sofort den Weg für eine konstruktive Kommunikation auf Augenhöhe. Eltern, die zusammen mit ihren (Grundschul-)Kindern ungeeignete Netflix-Serien schauen oder sie sogar unbeaufsichtigt schauen lassen, sind nicht die Regel. Die meisten Eltern möchten ihre Kinder vor gewalthaltigen und verstörenden Inhalten schützen. Leider fehlt es vielen allerdings oft an Kenntnissen und Unterstützung – strukturell wie informell. Eltern, die generell verhindern möchten, dass ihre Kinder Gewalt in Serien erleben beziehungsweise sie in diesem Fall vor dem Phänomen Squid Game schützen möchten, müssten konsequenterweise

  • ihr Smart-TV sowie den Netflix-Account jugendsicher machen,
  • ihren Kindern kein internetfähiges Smartphone zur Verfügung stellen,
  • falls die Kinder ein Smartphone haben, sämtliche sozialen Netzwerke wie Instagram, TikTok, Snapchat sowie YouTube löschen,
  • sämtliche Messenger-Apps wie WhatsApp oder Telegram auf den Kinder-Smartphones löschen,
  • den älteren Geschwistern und Freunden verbieten, ungeeignete Inhalte zu zeigen oder weiterzuleiten,
  • auf dem Pausenhof verhindern, dass Mitschülerinnen und Mitschüler auf ihren Handys ungeeignetes Material zeigen, sofern in der Schule kein absolutes Smartphone-Verbot herrscht.

Diese Maßnahmen – das wird schnell klar – sind weder realistisch noch praktikabel, weil man dadurch einen wesentlichen Bestandteil der Lebenswelt von Heranwachsenden ausblenden und zensieren würde. Hier gilt es, Eltern zu sensibilisieren und zu unterstützen.

Wie kann man Eltern unterstützen?

Schulen haben beim Programm 101 Schulen die Möglichkeit, Medienthemen in Eltern-Informationsabenden oder Eltern-Workshops zu bearbeiten. Hierbei unterstützt sie die Initiative Kindermedienland Baden-Württemberg sowie das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg durch den Einsatz von geschulten Referentinnen und Referenten. Bei akuten Fällen kann sich das Schulpersonal gerne an die medienpädagogische Beratungsstelle des Landesmedienzentrums wenden.

Aber auch bei Elternabenden können und sollen die Fragen und Sorgen der Eltern thematisiert und beantwortet werden. Folgende Themen bieten sich an:

zur Beratungsstelle

Wie kann man im Unterricht über die Serie reden?

Die Leitperspektive Medienbildung sieht vor, dass ein Thema wie Squid Game in verschiedenen Unterrichtsfächern thematisiert werden kann. Angesichts der hohen Viralität der Serie, also der schnellen Weitergabe von Mensch zu Mensch, sollten sich Schulträger überlegen, in welcher Form dies kurzfristig und unaufgeregt im Unterricht geschehen kann. Hier ein paar Gesprächsthemen und -anlässe:

Ängste ernst nehmen: Die Serie Squid Game thematisiert verschiedenste Ängste, etwa vor Gewalt, Verlust oder Überwachung. Jüngere Kinder, die Ausschnitte oder ganze Szenen gesehen haben, können Panikattacken oder Angstzustände entwickeln, wenn Inhalte nicht oder unzureichend verarbeitet und besprochen worden. Hier gilt es, Ängste ernst zu nehmen und Bewältigungsstrategien (auch in Einzelgesprächen) zu vermitteln.

Thematisieren und Neugier signalisieren: Wurden bereits Elemente aus Squid Game auf dem Pausenhof nachgespielt oder haben Kinder von der Serie berichtet? Ohne Angst, schlafende Hunde zu wecken, können Lehrkräfte in den Schulklassen nachfragen, wer die Serie bereits kennt. Interessant wäre zudem die Frage, wer die Serie bereits auf dem Fernsehgerät oder dem Mobiltelefon gesehen hat. Wenn Kinder bereits viel über die Serie wissen, bietet es sich an, sie die Handlung nacherzählen zu lassen, zu überlegen, wie die Handlung weitergehen kann und welche Gesellschaftsthemen in der Serie stecken.

Haltung einnehmen: Bereits Kinder sind in der Lage, fiktive von realer Gewalt zu unterscheiden. Der Einwand von Schülerinnen und Schülern, dass es „sich ja nur um einen Film handelt“ ist in Zeiten, in denen Computerspiele das gewaltvollere Kultur-Genre darstellen, nachvollziehbar. Dennoch kann auch mit Jugendlichen und Jüngeren hinterfragt werden, warum – angesichts der vielfältigen realen Gewalt – diese noch kulturell zelebriert werden muss. Auch die Frage, auf was für Gedanken und welche Gemütszustände uns eine Serie wie Squid Game bringt, kann in den Raum gestellt werden. Letztendlich sind mediale Inhalte kein Motiv und keine Anleitung, um Gewalt (in Kinderspielen und generell) zu rechtfertigen.

Aggressives Pausenhof-Verhalten ansprechen: Dass Kinder auf Pausenhöfen mediale Erlebnisse verarbeiten, besprechen und nachstellen, war auch vor Squid Game schon so. Ebenso ist körperliche und verbale Gewalt – wie die Ohrfeigen als „Bestrafungselement“ – auf Pausenhöfen keine Erfindung von Squid Game. Geändert hat sich nur, dass Bestrafungen durch die Serie „legitimiert“ wurden, um sie möglichst realitätsnah nachspielen zu können. Genau hier können Lehrkräfte ansetzen: Zusammen mit Schülervertreterinnen und -vertretern lässt sich überlegen, wie Pausenhofspiele (gerecht) gespielt werden und welche Regeln dabei gelten sollen.

Mediennutzung hinterfragen: Squid Game liefert erzieherisch tätigen Personen sowie Eltern eine Steilvorlage, um mediales Verhalten anzusprechen und kritisch zu hinterfragen. Dabei geht es nicht nur um die Risiken einer exzessiven Mediennutzung, sondern um die Frage, wie man als Gesellschaft medial miteinander leben will: im ständigen medialen (Instagram- und Fortnite)-Wettbewerb, im Zelebrieren und Skandalisieren medialer (fiktiver wie realer) Gewalt, im Kritisieren, Beschimpfen, Beleidigen, Verhetzen und passiven „Bystandern“? Oder in kreativer, wertschätzender und gestalterischer Art, ohne Angst, etwas zu verpassen? Das alles bietet ein ideales Themenfeld für den „persönlichkeitsbildenden“ Austausch in der Klassengruppe.

Christian Reinhold

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