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Dokumentarfilm zu sexuellen Übergriffen im Netz

Ulrike Boscher
Filmaufnahmen zur Doku: "Gefangen im Netz": Blick ins Studio mit Filmteam und Betreuerstab.

Filmaufnahmen zur Doku: "Gefangen im Netz": Blick ins Studio mit Filmteam und Betreuerstab. | Foto: Milan Jaroš 2020/Hypermarket Film/Filmwelt

"Gefangen im Netz" - Ein Film über Cybergrooming

Ein Film über sexuellen Missbrauch an Kindern macht deutlich: Aufklärung und Prävention zu Cybergrooming sind wichtiger denn je.

Die Täter sind fast immer Männer. Sie tummeln sich in sozialen Netzwerken, auf Spieleseiten und in Chatforen. Dort nehmen sie zu Kindern und Jugendlichen Kontakt auf, verwickeln sie in harmlose Smalltalks, äußern Komplimente und erschleichen sich ihr Vertrauen. Irgendwann nimmt die scheinbar unverfängliche Unterhaltung eine unangenehme Wendung. Der Fremde, der sich zunächst als Gleichaltriger ausgibt, zeigt plötzlich großes Interesse an persönlichen Details, er wechselt gerne in private Chats und es fallen immer häufiger anzügliche Bemerkungen. Nach und nach verwickeln die Täter ihre minderjährigen Opfer in sexuelle Gespräche, fordern intime Fotos und unfreiwillige Handlungen.

Experten sprechen hier von Cybergrooming. Gemeint ist das „gezielte Ansprechen Minderjähriger über das Internet mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen“ (Schau Hin!)

In Deutschland ist Cybergrooming eine Straftat (Paragraf 176 StGB). Zum Schutz der Kinder wurden die Gesetze letztes Jahr nochmals verschärft. „Schon der Versuch, aus sexuellem Interesse heraus im Netz Kontakt zu einem Kind aufzubauen“, ist strafbar und sollte zur Anzeige gebracht werden (Frankfurter Zeitung, 28.06.2021).

Tschechisches Filmexperiment mit verstörenden Bildern

Aber wie groß ist die Gefahr der sexuellen Manipulation im Internet tatsächlich? Das wollten auch die tschechischen Regisseure Barbora Chalupová und Vít Klusák wissen. Für ihren jüngst erschienenen Dokumentarfilm „Gefangen im Netz“ starteten sie ein Filmexperiment mit „Lockvögeln“. Drei volljährige, sehr jung aussehende Schauspielerinnen begaben sich in künstlich inszenierte Teenie-Zimmer, ausgestattet mit PC, Webcam, Plüschtieren und rosa Wänden. Das Studioteam richtete drei erfundene Profile ein. Zehn Tage lang stellten sich die Schauspielerinnen den eingehenden Chats und Kontaktanfragen. Dabei hielten sie sich an die vereinbarten Verhaltensregeln der Regie: Sie durften nicht flirten, provozieren, selbst keine Kontakte initiieren. Im Chat mit fremden Männern oder vor der Webcam verwiesen sie regelmäßig auf ihr Alter („12 Jahre“).

Über 2400 Kontaktanfragen in nur zehn Tagen

Wie die FAZ berichtet, protokollierten die Filmemacher in zehn Tagen mehr als 2400 Kontaktversuche, meistens von Männern, mit eindeutigen, sexuellen Absichten. Diese Personen forderten zum Teil Online-Sex, gingen (vor laufender Kamera) eigenen Neigungen nach, schickten explizite Fotos und Videos, scheuten keine Versuche der Erpressung. In vielen Fällen kamen die Täter schnell zur Sache - von Grooming, also einem langsamen Anbahnen konnte kaum die Rede sein. Auf Deutschland sind diese Beobachtungen nicht 1:1 übertragbar. Im Jahr 2020 wurden der Polizei 2632 Fälle von Cybergrooming gemeldet - fast so viel, wie im tschechischen Experiment in nur zehn Tagen. Kriminologen gehen dennoch von einer großen Dunkelziffer und einer wachsenden Gefahr aus. Der Film „Gefahr im Netz“ signalisiert ganz klar: Kinder und Jugendliche müssen aufgeklärt und vorbereitet sein, sollte es zu einer sexuellen Belästigung im Internet kommen.

Junge Frau liegt auf ihrem Bett vor einem Laptop

Schauspielerin chattet während der Dreharbeiten zu "Gefangen im Netz" in einem inszenierten Kinderzimmer (Filmstudio). | Foto: Milan Jaroš 2020/Hypermarket Film/Filmwelt

Dokumentarfilm in zwei Versionen

„Gefangen im Netz“ gibt es in zwei Filmfassungen:

  1. Der Kino- und Dokumentarfilm (100 Min./FSK 16) eignet sich nicht für die Schule. Er zeigt explizite Bilder und Handlungen, wenn auch in verpixelter Form. Es wird real gezeigt, wie die Täter vorgehen und dabei eine relativ niedrige Hemmschwelle für sexuelle Übergriffe zeigen. Viele dokumentierte Szenen wirken verstörend und erniedrigend. Das Material wurde auch der Polizei übergeben.
  2. Die von den Filmemachern als „Schulversion“ (60 Minuten/FSK 12) herausgegebene Fassung ist kürzer. Explizite Szenen sind weitestgehend herausgeschnitten, heikle und gefährliche Situationen brechen im Film rechtzeitig ab. Anstelle dessen treten Tipps für Kinder und Jugendliche, um sich vor sexueller Belästigung und Gewalt im Netz zu schützen.

Kritik und Hinweise für Pädagogen

Die Initiative Klicksafe.de kann die Schulversion nicht uneingeschränkt empfehlen. „Je nach Entwicklungsstand eines Kindes oder möglichen persönlichen Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch, kann auch die Schulversion verstörend oder gar als Trigger wirken.“ Man müsse deswegen auf jeden Fall die Erziehungsberechtigen vorher informieren und den Film methodisch vor- und nachbereiten (Klicksafe, 29.06.21).

Inzwischen wurde der Film vielfach besprochen und auf unterschiedlichen Kanälen vorgestellt. Neben lobenden Worten, äußert der Kriminologe Rüdiger Anstoß in der FAZ auch Kritik. Im Film würden nur Mädchen sexuell belästigt und bedroht, in Wirklichkeit gehörten auch Jungen zu den Opfern von Cybergrooming. Ebenso gehören zu den Tätern nicht nur ältere Männer, sondern Personen aller Altersgruppen und jeden Geschlechts, die unter falschen Angaben in gefakten Profilen auftreten.

Infos zum Film: Gefangen im Netz.

Ulrike Boscher

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